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Liebe Gemeinde,

der heutige Predigttext führt uns auf eine Hochzeitsfeier. Bestimmt kennen Sie diese Erzählung aus dem Johannesevangelium.

Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maß. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn. (Joh 2,1-11)

Wie schön, eine Hochzeit! Damals in Galiläa war es bestimmt so wie heute auch noch: Alles soll perfekt sein, damit man diesen Tag in denkwürdiger Erinnerung behält. Ein rauschendes Fest mit vielen frohen Gästen, die hoffentlich noch lange davon schwärmen. Und dann das: Der Wein geht aus! Peinlich, peinlich… Alle vorausschauende Planung, alles Bemühen hat anscheinend nichts genützt: Der Wein reicht nicht aus! Was für eine Blamage für die Familie. Und das, wo damals die ganze Großfamilie und auch das ganze Dorf eingeladen war und sich alle auf eine ausschweifende Feier freuten.

Wahrscheinlich haben Sie auch schon von solchen Pannen gehört oder sie miterlebt. Das Hochzeitsessen, das nicht schmeckt oder kalt serviert wurde, die zu spät gekommene Verwandtschaft, Streit über die Sitzordnung, Ärger über den Fotografen, weil immer Schatten auf den Gesichtern liegen bis hin zur Scheidung nach wenigen Monaten. Je mehr beachtet werden muss, um so größer die Ansprüche und Erwartungen sind, desto mehr kann auch schief gehen.

So eben auch hier, wo sicherlich auch schon viele Wochen im Voraus mit den Vorbereitungen begonnen wurde: Es reicht nicht. Der Wein geht aus bei der Hochzeit zu Kana. Jüdische Hochzeiten sind ohne Wein nicht vorstellbar. Wein in Fülle, das ist nicht nur das traditionelle Festgetränk, sondern auch ein Bild für das ewige Freudenmahl bei Gott, und so darf er bei einer Hochzeit nicht fehlen. Ausreichend Essen und Trinken gehören zu einer Hochzeit einfach dazu. Doch hier ist das Schlimme passiert: Der Wein geht aus.

Wie gut, dass Maria, die Mutter Jesu, da ist. Sie fühlt sich verantwortlich und handelt. Vielleicht ist sie eine Verwandte des Brautpaars, wir wissen es nicht. Auf jeden Fall weiß sie, was zu tun ist. Sie geht zu ihrem Sohn und sagt: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Hinter dieser Aussage steht natürlich eine Aufforderung: Tu was dagegen! Dahinter steht auch die unausgesprochene Erwartung, dass Jesus das irgendwie kann. Wenn das doch immer so einfach wäre! Wie verlockend ist die Vorstellung, dass jemand die Sache in die Hand nimmt, die gerade gründlich schief geht. Dass die Krüge wieder voll sind, der Mangel beseitigt wird, die fröhliche Feier weiter gehen kann, ohne dass es die Gäste überhaupt merken. Doch Jesus spielt nicht mit: „Was geht’s dich an, Frau, was ich tue?“ Schroff weist er seine Mutter zurück. Jesus beseitigt nicht einfach den Mangel, und schon gar nicht auf Kommando. Er lässt sich nicht für die Zwecke der anderen einspannen, mag das auch noch so peinlich, der Anlass auch noch so wichtig sein. Eine Problemlösung auf Wunsch, aber sofort – so einfach ist das bei Jesus nicht.

„Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Das klingt rätselhaft, denn wann soll er helfen, wenn nicht jetzt, in diesem Moment der großen Blamage der Familien? Doch im Johannesevangelium ist die Stunde Jesu nicht die momentane Not, sondern seine Todesstunde. Dann erkennt die Welt, dass Jesus ganz unten und gleichzeitig ganz oben ist, da ist alles vollbracht. Also was denn jetzt: Warten bis zur Kreuzigung, wo doch jetzt die Feier stattfindet? Sollen die Gäste enttäuscht nach Hause gehen, die Familien blamiert zurückbleiben? Nein, so ist es dann doch nicht, auch wenn Jesus zunächst einmal so spricht. Denn diese Hochzeitsfeier ist ein Beispiel, sozusagen ein Appetithappen, der Lust machen soll auf mehr. Es ist mehr als nur eine Dorfhochzeit irgendwo in der Provinz. Die Freude über die Herrlichkeit, über die Auferstehung Jesu, sie ist hier bereits vorweggenommen in der Hochzeit zu Kana. Das Heil der Welt ist angebrochen, denn Jesus ist da. Deshalb verwandelt Jesus Wasser zu Wein, nicht um das Fest zu retten. So werden die Krüge voller Wasser, welches für die Reinigung gedacht war, zu Krügen voller Wein. Es geht ziemlich viel Wasser in die Krüge, mehrere hundert Liter werden es wohl gewesen sein.

Das Wasser, also der Alltag, wird zum kostbaren Wein, zum Festgetränk. Der Speisemeister ist verwundert, so guten Wein gibt es auf einmal und das, wo doch schon einige angetrunken sind. Auch gut, was soll’s, das Fest geht weiter! Sonst fragt keiner nach, wahrscheinlich hat es auch keiner mitbekommen. Das wäre auch ganz im Sinne der Familie, die so die Blamage umgeht.

Wir heute wissen woher der Wein kommt und so fragen wir nach, wollen der Sache auf den Grund gehen oder den Haken dabei finden. Zuerst ziert sich Jesus, dann macht er doch was Maria wollte. Der Wein ist wieder da, guter Wein sogar, das Fest geht weiter, den Gästen kann es egal sein woher der Wein kommt, Hauptsache er schmeckt.

Vielleicht war es ja den Gästen egal, aber dem Evangelisten Johannes nicht, sonst hätte er die Geschichte anders erzählt. Für Johannes ist wichtig: Jesus ersetzt den Mangel durch Fülle. Ja mehr noch, denn es ist kein Austausch, sondern eine deutliche Verbesserung. Aus Wasser, das Unreines abwäscht, ist nun kostbarer Wein geworden. Nicht zur äußerlichen Anwendung, nein, zum Trinken, zum Genießen. Die Fülle und Herrlichkeit Gottes ist spürbar im fröhlichen Fest, bei der Hochzeit. Der Alltag wird zum Fest, denn Jesus ist da.

Eine schöne Geschichte und nicht ohne Grund steht sie ganz vorne im Johannesevangelium. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn. Damit wird von Beginn an deutlich gemacht, wie die Leserinnen und Leser des Evangeliums das Wirken Jesu verstehen sollen: Als eine Vorwegnahme des Himmels auf der Erde, wenigstens ein bisschen davon. Solange Jesus da ist, feiern wir ein Fest, spüren wir den Himmel, der auf die Erde gekommen ist. So gesehen ist das auch eine Erinnerung an das Weihnachtsfest. Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende, nur weil genügend Wein vorhanden ist und die Hochzeitsfeier weitergehen kann. Sie geht immer weiter, bis zu uns heute. Auch wir feiern diese Hochzeit zu Kana mit. Seine Jünger glaubten an ihn, so endet dieser Abschnitt.

Es geht nämlich gar nicht mehr um die Hochzeitsgäste, um Braut und Bräutigam. Wir lesen auch nichts darüber, wie das Fest weiterging und ob diese Weinmenge nun ausreichte. Davon ist auszugehen. Aber letzten Endes ist die Hochzeit nicht der Kern der Erzählung, sondern sozusagen nur die Kulisse für das eigentliche Stück. Wir erfahren ja noch nicht einmal, wer denn da geheiratet hat. Es geht nicht um Braut und Bräutigam, es geht um Jesu Jünger, also auch um uns. Denn die Perspektive, aus der erzählt wird, ist die der Jünger. Jesus zeigte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn. Das ist ein zweites Wunder, eine zweite Verwandlung. Hier verwandelt Jesus Menschen. Aus ihrem Alltag sind sie herausgenommen, sind gefüllt mit Glaube, Hoffnung und Liebe, man könnte auch sagen, gefüllt mit dem Heiligen Geist.

Das ist nicht einfach nur ein bisschen mehr als vorher, eine kleine Änderung. Es geht nicht um die Beseitigung eines Mangels bei den Jüngern, als ob sie vorher nichts wert gewesen wären. Genausowenig wie Jesus nicht Einkaufen geht oder die Jünger schickt, um Wein zu besorgen, sondern das Vorhandene verwandelt. Weil Jesus da ist bricht etwas ganz Neues an. Menschen werden verwandelt, weil sie die Herrlichkeit Jesu und somit auch die Herrlichkeit Gottes erkennen. Verwandlung geschieht da, wo Menschen der Fülle begegnen, der Herrlichkeit Gottes. Menschen begegnen Jesus und indem sie an ihn glauben werden sie mit hineingenommen in Gottes Herrlichkeit, feiern mit beim großen Fest Gottes. Das steht hinter dieser Geschichte: Jesus ist kommen, der Grund ewiger Freude, wie es in dem alten Lied heißt.

Und warum braucht es dazu so ein Wunder? fragen Sie sich jetzt vielleicht. Reicht es nicht, wenn der Heilige Geist die Menschen einfach so erfasst, vielleicht durch eine packende Predigt Jesu?

Nicht alles lässt sich mit Worten ausdrücken. Es gibt Dinge, die sagen mehr als tausend Worte. Ein liebevoller Blick oder eine stürmische Umarmung bewirken viel mehr als so manche vollmundige Liebeserklärung. Mit Taten, nicht mit Worten, wird das Leben in all seiner Fülle spürbar. Deshalb gibt es bei den Sakramenten ja auch etwas zu sehen und zu spüren. Das Wort erklärt es, aber das Element – Wasser bei der Taufe, Brot und Wein beim Abendmahl - macht es erfahrbar. Spürbar wie ein Schluck Wein auf der Zunge. Jesus verwandelt hier Wasser zu Wein, er verwandelt das Leben der Menschen. Es passiert einfach, die Diener schöpften aus den Krügen, und sie schöpften den Wein, nicht das Wasser. Verwandlung lässt sich nicht herbeireden, sie passiert unbeschreiblich, unerklärlich. Unsere Suche nach passenden Worten würde nichts bringen, denn die Fülle, die Herrlichkeit ist nicht zu beschreiben, sie ist spürbar mit allen Sinnen.

Seine Jünger glaubten an ihn. Wir glauben an Jesus Christus, der uns verwandelt, weil wir so wertvoll und kostbar sind, dass er sogar sein Leben hingibt für uns. Von dieser Fülle können und sollen wir leben. Auch in Zeiten, wo uns etwas fehlt. Fülle statt Mangel durch unseren Glauben. Das kann uns die Kraft geben, uns für das Leben und die Liebe einzusetzen, die Fülle, die in uns ist, zu leben und zu teilen. Aus der Fülle des Glaubens stammt unsere Liebe, unser Engagement. Und wir bekommen diese Kraft, auch in schwierigen Zeiten wie diesen. Wie viele Verlängerungen des Lockdowns drohen uns denn noch? Wann verliert das Virus endlich seinen Schrecken? Wann können wir wieder leben wie wir es gewohnt sind – mit Kontakten, mit Festen und Feiern, mit Leben in der Gemeinschaft, nicht in der Isolation?

Ich weiß es nicht, liebe Gemeinde. Vielleicht haben wir Glück und dürfen und schon in drei, vier Wochen wieder in größeren Gruppen treffen, können bald wieder unsere Gottesdienste mit Gesang und Sakrament feiern. Vielleicht müssen wir auch noch ein gutes halbes Jahr durchhalten, bis genügend von uns geimpft sind und das Virus sich nicht mehr so schnell ausbreiten kann. Das ist lang, doch wir schaffen das, wenn wir Kraft und Hoffnung nicht verlieren. Die Kraft und Hoffnung aber können wir von Jesus bekommen. Auch in Zeiten des Mangels, wo anscheinend nur noch Wasser vorhanden ist, können wir die Herrlichkeit Gottes erahnen. Plötzlich schmeckt das Wasser wie Wein, plötzlich wird aus der Niedergeschlagenheit die Hoffnung, plötzlich verwandeln sich Tränen in Lachen.

Weil wir verwandelt sind, können wir im Glauben leben und das Leben annehmen und feiern, ob im lang vermissten Kreis der Gemeinde oder der hygienisch verordneten Distanz. Die Herrlichkeit Gottes braucht nicht die Nähe der Menschen, sondern die Nähe Jesu. Und der ist da, damals in Kana und auch heute in Drabenderhöhe und Umgebung. Amen

Liebe Gemeinde,

die erste Predigt des Neuen Jahres wird sich mit der Jahreslosung beschäftigen. Eine Jahreslosung verstehe ich als eine Art Motto oder Überschrift über das ganze Jahr. Doch leider haben wir sie meistens schon nach ein paar Wochen wieder vergessen. Das ist so ähnlich wie mit den berühmten guten Vorsätzen zu Silvester, von denen wir die meisten auch schon nach ein oder zwei Monaten aufgeben. Ich muss gestehen, dass mir das auch so geht, sowohl was die Vorsätze angeht als auch mit der Jahreslosung. Die kenne ich meist schon so gegen Ostern nicht mehr. So richtig scheint das also mit der Jahreslosung als Motto fürs ganze Jahr nicht zu funktionieren.

Aber wir wollen es dennoch wagen, jedes Jahr aufs Neue! Also widmen wir uns heute dem Vers aus dem Lukasevangelium, der als Jahreslosung 2021 ausgewählt wurde. Dort sagt Jesus zu seinen Zuhörerinnen und Zuhörern: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! (Lk 6,36) Das klingt zunächst einmal recht einfach. Doch was bedeutet das denn: Barmherzig sein? Dieses Wort kommt in unserem normalen Alltag nicht vor, es ist mittlerweile reine Kirchensprache. Ob es je anders war, weiß ich gar nicht. Würde ich willkürlich ausgewählte Menschen auf der Straße fragen, was Barmherzigkeit bedeutet, käme vermutlich von den meisten ein großes Achselzucken. Barmherzigkeit ist für die meisten ein rätselhafter, unbekannter Begriff. Das vergleichbare Wort Gnade kennt man, aber Barmherzigkeit gehört zu den Worten, die außerhalb der Kirchenmauern niemand nutzt und die V iele auch nicht verstehen. Was soll das also sein? Manche Begriffe erklären sich am einfachsten, wenn man sich das Gegenteil vor Augen führt. Das ist in diesem Fall die Unbarmherzigkeit. Ja, das kennen wir schon eher. Unbarmherzig ist vieles, die Unbarmherzigkeit begegnet uns oft, zu oft. Ob man über andere Menschen urteilt, ob man Schulden eintreiben will oder beim Spiel gewinnen möchte: Ohne Unbarmherzigkeit klappt das oft nicht, so meinen wir. Die Schwäche des anderen ausnutzen, unser Recht unbarmherzig durchsetzen. So und nur so kann man sich behaupten, so scheint es. Der mag erschrecken, doch ist es nicht so? Unsere Ellbogengesellschaft kennt Gewinner und Verlierer, das lernen wir schon früh. Auf der Verliererseite will verständlicherweise niemand stehen, deshalb werden wir unbarmherzig. Und was ist, wenn wir ein Auge zudrücken? Nur wenn der andere uns sehr sympathisch ist. Gnädig sein? Nur in wenigen Ausnahmefällen. Nachher wird uns das noch als weichherzig ausgelegt und das will man außerhalb der engsten Familie doch nicht sein. Womöglich werden wir dann ausgenutzt.

Nein, wir wollen deutlich zeigen, wo Macht und Recht sind, und dazu gehört nach unseren Spielregeln unbarmherzig zu sein. Man will keine Schwäche zeigen, das könnte sich ja nachteilig auswirken. So ähnlich denken wir oft und so wird es uns immer wieder vermittelt. Sei es in den Medien, im Beruf, der Schule oder im Privatbereich. Wer barmherzig ist, ist schwach, so scheint es. Schwäche aber wollen wir nicht zeigen, denn die könnte ausgenutzt werden, unserer Karriere schaden oder was auch immer. Zumindest solange wir das Recht auf unserer Seite haben, wollen wir von Barmherzigkeit wenig wissen.

Dem gegenüber steht die Jahreslosung: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Ist also die Jahreslosung ein Aufruf, unrealistisch und weltfremd zu werden? Zu lieb und zu weichherzig für diese kalte, gnadenlose Welt? Das wird uns Christinnen und Christen schon seit fast 2000 Jahren vorgeworfen: Wir sind zu weich, zu verständnisvoll, nicht hart genug. Man muss sich doch durchsetzen, muss zeigen wo es langgeht, wer hier das Sagen hat. Fehlverhalten muss doch bestraft werden, um ihm Einhalt zu gebieten. Doch kommen wir mit dieser Einstellung weiter? Werden wir glücklich, wenn es nur noch darum geht zu zeigen, wer der Stärkere ist? Was ist denn, wenn wir jemanden begegnen, der stärker und mächtiger ist als wir. Beharren wir dann immer noch auf der Unbarmherzigkeit? Fühlen wir uns wohl in einer Welt, wo Nächstenliebe auf die eigene Familie und den engsten Freundeskreis beschränkt wird? Wo man immer so tun muss, als hätte man alles im Griff, als würde man selbst die Regeln bestimmen, nach denen es läuft? Selbst wenn in Wirklichkeit alles zusammenbricht, spielen wir diese Rolle.

Und was ist, wenn wir auf Barmherzigkeit angewiesen sind, weil wir, unsere Angehörigen oder unsere besten Freunde große Fehler gemacht haben? Dann müssen wir doch die gleichen unbarmherzigen Maßstäbe anlegen - oder etwa nicht? Wer unbarmherzig und gnadenlos ist, darf keine Ausnahme machen, sonst wird es ungerecht. Noch nicht einmal bei den Menschen, die wir lieben. An diesem Punkt aber gerät das alles ins Wanken. Denn was ist uns wichtiger: Die Liebe zu anderen Menschen oder die Unbarmherzigkeit der von uns selbst aufgestellten Regeln? Ich denke, die meisten würden sich dann doch für die Liebe entscheiden und damit der Forderung Jesu aus der Jahreslosung entsprechen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Denn was für uns gilt, das gilt erst recht für Gott, unseren himmlischen Vater. Auch da haben wir die Barmherzigkeit nötig. Denn nach Recht und Gesetz würden wir alle mehr oder weniger heftige Strafen erwarten. Wie oft verstoßen wir gegen Gottes Gebote, missachten die göttlichen Gesetze? Sei es das Verbot des Neids, der Lüge, oder die Heiligung des Feiertags. Auch unser Umgang mit Gottes Schöpfung gehört sicher dazu, genauso auch die häufig nur sehr eingeschränkte Gastfreundschaft und Nächstenliebe. Da kommt Gottes Liebe zu uns Menschen ins Spiel und demzufolge auch die Barmherzigkeit. Es ist ja nicht so, dass wir von vornherein für unsere ganzen schlechten Taten begnadigt werden, dass alles durchgewunken wird, was ist und war. Also so eine Art Freibrief für das schlechte Verhalten. So ist es bei Gott nicht, glaube ich. Ich vermute, dass wir Gott, uns selbst und vielleicht auch unseren Nächsten gegenüber dazu Stellung nehmen müssen. Doch ich vertraue darauf, dass Gottes Barmherzigkeit weit größer ist als der Ruf nach angemessener Bestrafung. Und das nicht etwa, weil Gott so ein weicher Typ ist, der niemandem wehtun will und kann. Gott kann auch anders, so erzählt es die Bibel. Gottes Zorn und dessen schreckliche Folgen werden in der Bibel mehrmals erwähnt, aber diese Art der Erziehung seiner Menschen zum Besseren hat zu keinem Erfolg geführt. Genauso wie Schläge noch kein Kind zu einem besseren Menschen gemacht haben. Da haben die meisten Eltern mittlerweile dazugelernt und auch Gott hat an diesem Punkt gelernt, so lesen wir in der Bibel. Weil Gott uns liebt ist er barmherzig, das ist die Erklärung für unseren Straferlass. Und so sollen auch wir tun, sagt Jesus. Barmherzig sein aus Liebe, so wie Gott es mit uns ist. Ob wir die anderen immer so lieben, wie Gott uns liebt weiß ich nicht. Vermutlich eher nicht. Wir Menschen sind mit unserer Liebe sehr wählerisch. Doch das heißt nicht, dass wir unser Recht, unsere Forderungen nach Strafe immer durchsetzen sollen. Auch wir sollen barmherzig sein, sollen verzeihen und Gnade üben. Wir sollen Schluss machen mit der Spirale von Gewalt und Vergeltung. Schluss auch mit unserem Beharren auf Richtig und Falsch, das andere Meinungen immer weniger gelten lässt. Auch das haben wir in den letzten Jahren gespürt, sei es jetzt bei manch populistischen Politikern oder in dem Streit der Meinungen angesichts der Corona-Pandemie: Uns einfach unterhalten, Argumente austauschen und bei all dem den Gesprächspartner als Menschen ernst nehmen, auch wenn er anderer Meinung ist, wird immer schwieriger. Bis vor ein paar Jahren war ein Kompromiss eine gute Sache, weil man sich geeinigt hat und so den Streit verhindern oder beenden konnte. Heute hingegen, so habe ich den Eindruck, wird Kompromisslosigkeit als gute Eigenschaft angesehen und das nicht nur bei Politikern. Doch wer keine Kompromisse sucht, wer die eigene Sichtweise als die einzig Wahre ansieht und sie deshalb unbedingt durchsetzen will, der erntet Frustration, Streit und Wut. Es mag sein, dass so ein Verhalten Applaus bei den eigenen Anhängern gibt, doch was ist mit den anderen, die sich dann unbarmherzig behandelt oder zumindest nicht ernst genommen fühlen? So ist es auch bei der Corona-Pandemie: Man kann sicher über Sinn und Unsinn mancher Maßnahmen geteilter Meinung sein, aber darüber sollte man dann diskutieren. Es hilft jedenfalls nicht, wenn man das Virus verleugnet oder als Werkzeug einer gigantischen Weltverschwörung sieht. Das macht niemanden gesund. Und genauso wenig bringt es das Gespräch weiter, wenn man jeden Zweifel als Spinnerei abtut. Viele Sorgen um die eigene Zukunft oder die der Kinder sind durchaus berechtigt, wenn kein Geld mehr verdient wird, wenn Schulen oder Kindergärten über Wochen und Monate hinweg geschlossen sind. Genauso dass sich Einsamkeit und Depressionen in diesen Zeiten verstärken können. Weitgehende Distanz zueinander verringert gewiss die Ansteckungsgefahr, aber was ist mit der seelischen Gesundheit der Menschen, für die wir Kontakte zu anderen benötigen? Dazu gehören auch Gottesdienste und die Gemeinschaft in der Gemeinde. Auch über so etwas muss diskutiert werden, ohne sich gegenseitig nur die eigenen Standpunkte an den Kopf zu werfen und die andere Meinung als Blödsinn abzutun.

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist - das betrifft unser ganzes Leben. Und deshalb ist es als Jahreslosung eine gute Wahl. Es wäre nur schade, wenn es mit der Barmherzigkeit am 31. Dezember 2021 vorüber ist. So soll es ja nicht sein. Manchmal ist es einfach angebracht, etwas mehr über scheinbare Selbstverständlichkeiten nachzudenken. Dazu gehört auch die Barmherzigkeit. Und so verstehe ich die Jahreslosung als Denkanstoß, als Mahnung für unser ganzes Leben. Barmherzig sollten wir immer sein, nicht nur 2021, sondern auch im Jahr 2022 und darüber hinaus. Barmherzig zu allen Menschen, aber auch zu uns selbst. Das sollten wir nicht übersehen. Denn auch wir genügen nicht immer den eigenen Ansprüchen, das beginnt schon bei den guten Vorsätzen fürs neue Jahr. Seien wir also dankbar für Gottes Barmherzigkeit uns gegenüber und bemühen wir uns, es ihm gleich zu tun. Das wäre doch ein toller Vorsatz für 2021!

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Liebe Gemeinde, wenn ein so wichtiger Tag im Leben ansteht, wie es der heutige 11. Sonntag nach Trinitatis, für mich ist – dann macht man sich durchaus schon einige Zeit vorher so seine Gedanken welchen Inhalt wohl DIE Predigt haben könnte – oder wie es bei uns in der Prädikantenausbildung so schön hieß „DIE Predigt des Lebens“ haben wird. Möglichkeiten gibt es da ja ziemlich viele. Man hat die Qual der Wahl – schließlich gibt es zahlreiche Bibelstellen, die zum heutigen Tag gut passen würden, die mich in den vergangenen Jahren geprägt haben oder meine eigenen Gedanken zur Ordination spiegeln. In der Vorbereitung für den heutigen Gottesdienst habe ich viel über meinen Weg in den letzten 12 Jahren und die Menschen, die diesen mit mir gegangen sind nachgedacht. Und ja, ich bin in meinen Gedanken auch fündig geworden. Ich durfte viele beeindruckende Menschen in meiner Zeit hier in Drabenderhöhe kennenlernen, habe Freunde fürs Leben gewonnen und kann dankbar auf tausende Situationen – gute wie auch eher traurige - zurückblicken, die mich geprägt haben und heute hier so stehen lassen wie ich nun mal bin. Zum Höhepunkt der Prädikantenausbildung, im abschließenden Kolloquium stellte Herr Oberkirchenrat Schwab die Frage, mit welchem Bild wir unsere Tätigkeit in unseren Gemeinden beschreiben würden. Meine lieben Mitstudierenden hatten tolle und äußerst kreative Antworten parat, fast so als wären sie alle perfekt auf genau diese Frage vorbereitet gewesen. Bilder von voll gepackten Rucksäcken mit sämtlichen Inhalt, bunten Mosaiken, eng gespannten Netzen, Taschenlampen die das Dunkel in der Welt erhellen, Puzzleteilen die perfekt ineinander greifen, wurden zum Beispiel benannt und brachten auch mich zum Staunen. So saß ich dann da in Überdorf im Kölner Zimmer des Haus Wiesengrund, mal wieder ziemlich hoch schwanger in einer Prüfungssituation und etwas ratlos – schließlich hatten alle anderen gut vorgelegt und Herrn Schwab schon ziemlich von sich überzeugt. Meine Antwort lautete: „Mein Dienst in der Gemeinde gleicht einer Packung Buntstifte!“ Liebe Gemeinde, ich war wenn ich mich richtig erinnere ziemlich überrascht von meiner Antwort – je länger ich aber über diese Worte nachdenke, desto mehr weiß ich das diese Antwort kein Zufall oder gar nur nett daher gesagte Worte gewesen sind. In einer Packung Buntstifte sind nämlich viele Farben vertreten und wenn ich all diese Farben auf unsere Gemeinde und das gemeinsam Leben hier beziehe, brauchen wir tatsächlich jede einzelne davon ganz dringend. Das Blau ist wie das Wasser und gelichzeitig wie der Himmel. Als Zeichen und als Erinnerung an unsere Taufe bildet das Blau den Grundstein für unser christliches Denken und Handeln in unserer Gemeinde. Das Blau steht für die Tiefe unseres Glaubens. Das Gelb steht für die Sonne und die Helligkeit. Gäbe es die Freude in unserem Leben nicht, kein Lachen, kein Humor, keine gemeinsamen Erfolge und keine Gemeinschaft dann würden wir als Gemeinde einfrieren und das Wort Gottes würde einfach so an uns abprallen. Es könnte niemals in uns eindringen, wenn wir nicht all das Schöne und all die Menschen hätten, die unsere Gemeinde ausmachen. Da aber auch bei uns bei Weitem nicht immer alles glatt läuft oder „Friede, Freude, Eierkuchen“ ist und wir nicht nur auf der Insel der Glückseligkeit verweilen, brauchen wir auch dringend das Violett. Es steht für das Verzeihen, für das aufeinander zugehen und für den Neuanfang. Für den Neuanfang den wir als Christen immer wieder wagen dürfen, weil Gott uns begleitet. Von ihm bekommen wir die nötige Stärke und den Mut uns die Hände zu reichen, auch dann wenn wir es schwer miteinander haben. Durch unseren barmherzigen Vater wissen wir erst, was Vergebung bedeutet und wie wichtig Neuanfänge in unserem Leben sind. Ebenso brauchen wir aber auch die dunklen Farben. Das Schwarz verbinden wir oft mit Trauer und schmerzvollen Erlebnissen. Wir verbinden Schwarz oft mit Angst und Bedrohungen in unserem Leben. Auch das alles gehört zu uns Menschen. Ohne das Schwarz würde es keinen Kontrast in Form von Helligkeit geben können. Umso schöner, dass wir die Hoffnung im Grün finden. Die Farbe des Lebens schenkt uns die Zuversicht und den Glauben an die Auferstehung – an das neue Leben. Nun kommen wir zur wichtigsten Farbe – ohne die Bedeutung dieser Farbe könnten wir Menschen nicht existieren – ohne das Rot und die damit untrennbare Liebe könnten wir Menschen uns nicht begegnen, gemeinsam Dinge erreichen, Gemeinschaft und Gemeinde leben und wir könnten ebenso nicht am Reich Gottes bauen oder gar seine wundervolle Schöpfung bewahren. Das Rot ist für mich in seiner Bedeutung so sehr komplex wie auch lebensnotwendig, dass ich aus purer Überzeugung als Predigttext die folgenden Worte von Paulus an die Gemeinde in Korinth verwenden möchte: „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ Die Worte die wir vor allem durch so schöne Ereignisse wie Hochzeiten oder Taufen kennen, sind für mich der Grundstein für meinen Dienst hier in Drabenderhöhe und auch zumindest im Geiste für mein Leben. Ich gebe zu, dass mir das sicher nicht immer gelingt „nur in Liebe“ zu handeln. Auch dann nicht, wenn ich es mir felsenfest vornehme. Das ist menschlich und ich hoffe liebe Gemeinde, ihr kennt dieses Gefühl von dem ich da spreche. „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ Eine klare Aufforderung des Apostel Paulus am Schluss seines ersten Briefes an die Gemeinde in Korinth. Man könnte diese Worte auch einfach nur als netten Ratschlag auffassen – ich glaube aber Paulus fordert da ganz klar auf – schließlich ist die Liebe schon immer ein besonders wichtiger Wert des Christentums gewesen. Die Gemeinde in Korinth soll ihr Leben gemeinsam gestalten und den Weg gemeinsam beschreiten. Eben genau die Gemeinde, die von schweren Missständen geläutert ist und dringend die Unterstützung von außen benötigt. Wie gut, dass sich Paulus diesen Menschen in ihrer Notlage annimmt und diese Christen durch seine Worte stärkt. Er ermahnt und tadelt das Verhalten der Menschen – macht ihnen aber gleichzeitig unglaublichen Mut, in einer fast aussichtlosen Situation geprägt von Angst, Hass und Missgunst: „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ Das gesamte Leben von Christen soll von der Liebe bestimmt sein. Es geht hier nicht um eine Gabe aus Gnaden von Paulus an die Korinther, sondern um das bekräftigen der Basis allen menschlichen Handelns: alles was in Beziehungen, in Begegnungen von Menschen passiert – ob es gute Dinge oder schwierige Erlebnisse sind, ob wir dabei glücklich, traurig oder wütend sind, obgleich uns Dinge leicht oder schwer fallen, wir an unsere Grenzen stoßen, Dinge in Frage stellen oder aus Überzeugung für etwas eintreten: Alle diese Dinge sollen in der Liebe geschehen. Wir alle sind gefragt, liebe Gemeinde und das nicht nur heute, sondern an jedem einzelnen Tag unseres Lebens. Die Aufforderung Paulus´ gilt uns allen auch heute im Hier und Jetzt. An uns alleine liegt es wie unsere Beziehungen sich entwickeln, wie wir den Dingen gegenüber stehen wollen. An uns alleine liegt es, ob wir uns freuen möchten, die Dinge gelassen sehen oder ob wir uns einfach mal wieder ziemlich über etwas ärgern. Wir haben alle einen großen Spielraum, liebe Gemeinde: Wir können unser von Gott geschenktes Leben selber gestalten – mit unserem Handeln, unseren Gedanken, unseren Worten und unseren Gefühlen. Wer sagt denn, dass man nicht in Liebe streiten kann? Wer schreibt uns vor, dass neue Wege, Umbrüche und Veränderungen nicht auch durch Liebe möglich sind? Wer behauptet denn, dass man nicht auch Fehler als Mensch machen darf und dabei trotzdem gleichzeitig lieben kann? Schließlich ist die Liebe der Ursprung und das Ziel unseres Lebens. Der Apostel Paulus kann uns da ein gutes Vorbild sein von dem wir aufjedenfall eines mitnehmen können: wir können in und aus der Liebe heraus ermahnen, somit Verantwortung für unsere Familien, Freunde und Wegbegleiter zeigen und immer wieder zur Umkehr in Liebe aufrufen. Wir alle haben es selber in der Hand, auch wenn die Liebe uns von Gott gegeben wird. „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ So wird die Liebe für uns alle zur Berufung für unser gesamtes Sein auf Gottes Erde. Die Liebe ist das Schönste was wir einander geben können: in dieser Gemeinde, in unserem Zuhause, auf unserer Arbeit. „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ Wir Christen haben nicht nur den Auftrag in Liebe zu handeln, sondern ebenso sollten wir öfter darüber nachdenken, dass wir selber unermesslich geliebt werden und das eben nicht nur von unseren Partnern, Kindern, Familien und Freunden. Wann habt ihr Euch, liebe Gemeinde, das letzte Mal so richtig bewusst gemacht, dass ihr geliebt werdet? Wann habt ihr Euch, das letzte Mal so richtig geliebt gefühlt? Nur wenn uns dies bewusst ist, können wir die notwendige Kraft und den unerschütterlichen Mut aufbringen, unsere eigene Liebe in diese Welt hinein zu geben. Denn das ist mit Sicherheit nicht immer nur einfach. Ich bin froh und dankbar, dass ich durch die Liebe Gottes heute an diesem Punkt in meinem Leben angekommen bin und ja, dass ich heute hier sein darf. Der liebe Gott meint es gut mit mir – dessen bin ich mir bewusst. Ohne die Liebe Gottes hätte ich vermutlich nie diesen beruflichen Weg eingeschlagen und ich hätte vermutlich nicht alle diese wunderbaren Menschen kennen lernen dürfen, die mich begleiten und ein wichtiger Teil meines Lebens sind. Ich bin dankbar, dass sie alle diese Gemeinde mit mir gemeinsam bunt machen und in fröhliche Farben tauchen: diejenigen, die mir in den letzten 12 Jahren ihr Vertrauen geschenkt und mir viel zugetraut haben; diejenigen, die mich fordern aber vor allem fördern; diejenigen, auf die ich mich immer blind verlassen kann und die mich begleiten; diejenigen, bei denen ich echte Heimat und wahre Liebe finden darf – allen voran meine Familie; mein väterlicher Freund und allzeit verlässlicher Ratgeber, meine lieben Kollegen, unser wunderbares Kindergartenteam und last but not least unsere Jugendarbeit - die Zukunft unserer Gemeinde. Es fällt mir schwer, die Worte zu finden die passend beschreiben, was mir diese Menschen bedeuten und welchen Anteil sie daran tragen, dass ich heute hier so stehe. Vielleicht ist es auch einfach: die LIEBE! Die Menschen, die mir viel über die Liebe beigebracht haben und durch ihr DA-SEIN beweisen, dass man tatsächlich das erntet was man sät. Es braucht einfach viele Menschen um in Liebe, Stärke, in Geduld und mit Mut eine Gemeinde im Sinne Gottes und in der Nachfolge Christi leben zu lassen. Es braucht uns alle – jeden von uns mit seinen bunten Farben dafür! „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“ Ich wünsche uns allen, dass wir nicht nur uns gegenseitig sondern allen Menschen denen wir begegnen mit Liebe entgegen kommen können. Ich wünsche uns, als lebendige Gemeinde, dass wir das Leben in all seinen Farben und Facetten kosten und ausprobieren können. In unserer Packung Buntstifte ist alles drin was wir dafür brauchen: Gelb für die Sonne, Grün für die Hoffnung, Blau für den Himmel und unsere Taufe, Violett für die Neuanfänge und Rot für die Liebe.

Mögen wir alle mit diesen Farben durch unser Leben gehen und es bunt gestalten. Mögen wir alle das Geleit Gottes immer wieder neu erfahren und spüren: Wir alle sind seine geliebten Kinder! So lasst uns in Liebe hinaus gehen in diese Welt und sie Bunt machen, Menschen in unserem christlichen Glauben ein Zuhause finden lassen und dafür sorgen, dass wir als Gemeinde Jesus Christi farbenfroh in die unendliche Weite leuchten können. Ich weiß nicht wie es Euch geht liebe Gemeinde – ich für meinen Teil kann nur aus Überzeugung sagen: Ja, ich bin bereit! Der Friede und die Liebe Gottes, welche höher sind als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Liebe Gemeinde,

der heutige Sonntag heißt offiziell Miserikordias Domini. In den deutschsprachigen Ländern nennt man ihn meistens den Sonntag vom guten Hirten. Davon hörten wir ja schon im 23. Psalm und der Evangeliumslesung. Bei für heute vorgesehenen Predigttext aus dem 1. Petrusbrief taucht der Hirte nur ganz am Schluss auf:

(1. Petr. 2, 21-25) Christus litt für euch und hat euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr seinen Fußspuren nachfolgen sollt. Er tat keine Sünde, kein Betrug fand sich in seinem Mund. Wenn er beschimpft wurde, erwiderte er die Beschimpfung nicht, wenn er litt, drohte er nicht sondern übergab es dem gerecht Richtenden. Er trug unsere Sünden selbst durch seinen Leib am Holz damit wir, wenn wir für die Sünde gestorben sind, für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seit ihr heil geworden. Denn ihr wart wie irrende Schafe, nun aber seid ihr umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.

Das klingt so ähnlich wie ein Psalm. Es könnte demnach ein Lied oder ein Gedicht sein. Ob der Autor des Briefs dieses Lied selbst gedichtet hat oder ob er ein ihm bekanntes Lied zitiert, wissen wir jedoch nicht. Nehmen wir es also als eines der ältesten uns bekannten Kirchenlieder.

Das Leid Christi soll uns Vorbild sein, so heißt es hier. In den Sätzen vorher kommt der Brief auf die Sklaven zu sprechen, die auch häufig leiden. Doch ich denke, diese Verse richten sich nicht nur an die Sklaven, denn Leid begegnet allen Menschen, damals wie heute. In diesen Corona-Zeiten leiden wir besonders, so habe ich den Eindruck. Allerdings ist es ein unterschiedliches Leiden: Die einen leiden darunter, dass sie vieles nicht machen dürfen, was ihnen Spaß macht. Andere leiden mehr darunter, dass sie ihre Familie oder ihre Freunde nicht sehen dürfen. Manche leiden vor allem unter den drastischen Einschränkungen der Wirtschaft: Behalten sie ihre Stelle, können sie sich Miete und Nahrung noch leisten, überlebt ihr Geschäft? Andere leiden auch darunter, dass die Familie seit Wochen auf engem Raum aufeinanderhockt. Da kommt es schon mal zum sprichwörtlichen Lagerkoller, man beginnt sich auf die Nerven zu gehen. Und alle miteinander haben Angst vor der Krankheit. Die einen fürchten um ihre Gesundheit, die anderen um die Gesundheit von Eltern oder Großeltern, Onkel oder Freundin. Man fragt sich, wie lange das noch so weitergehen soll und was wohl danach kommen wird. Wirklich fröhlich sind nur wenige, trotz des schönen Wetters. Aber auch das macht uns Sorgen, denn es hat schon seit fast zwei Monaten nicht mehr geregnet, was für März und April sehr ungewöhnlich ist. Und wir merken: Der Klimawandel geht bei Corona nicht in Quarantäne, sondern ist immer noch da. Er ist derzeit nur kein großes Thema in den Medien.

Der leidende Christus also als Vorbild in unserem Leiden, sei es nun das Coronavirus oder ein anderes Leiden. Denn die gibt es ja auch noch, das dürfen und sollen wir nicht übersehen. Die Sorgen, Nöte und Ängste, die uns vor vier oder fünf Monaten bedrückten, sind doch nicht verschwunden, nur weil etwas Neues dazugekommen ist. Seien es Krankheiten, Angst um die berufliche Zukunft, Sorgen um die Kinder, zerbrochene Beziehungen oder was auch immer unser Herz schwer macht. Darüber spricht nur keiner mehr, so wie uns ein Frühjahr ohne Regen dieses Jahr viel weniger erschreckt als im vergangenen Jahr. Nicht weil es weniger dramatisch sind, sondern weil uns anderes noch dramatischer erscheint.

Doch Christus als Vorbild im Leid. Klingt das nicht etwas platt? Ich glaube nicht, dass dies eine billige Ausrede ist. Vielmehr soll es uns zeigen, dass Christus, dass Gott uns versteht, auf unserer Seite steht. Christus kennt das Leid, er steht nicht darüber. Er selbst hat auch auf das Schlimmste gelitten, wurde verlacht, beschimpft, gefoltert und ermordet und hat durchgehalten.

Und wen sollten wir auch beschimpfen, wen verantwortlich machen? Wir sind doch nicht Donald Trump, der alle paar Tage einen neuen Schuldigen verkündet, anstatt seine Ohnmacht zu bekennen. Ja, das Virus ist sicher ein Feind der Menschheit, aber der ganzen Menschheit und nicht nur einzelner Staaten oder Völker. Und es ist ein Feind, der nicht mit Befehlen und auch nicht mit Waffen bekämpft werden kann. Es ist noch nicht einmal bestechlich. Darauf sind wir nicht vorbereitet. Unsere üblichen Lösungsversuche passen nicht und wir können auch niemanden zur Rechenschaft ziehen. Wir alle sind in diesem Leid vereint. Wir können nicht viel mehr machen als das, was wir schon tun – auch wenn es uns schwer fällt. Die einen sehnen ihr normales Leben zurück, die anderen ärgern sich, dass sie sich nicht so richtig dagegen wehren können, dass weder Stärke noch Geld hilft. Nur die Vermeidung von Kontakten hilft ein wenig und natürlich die Sorge um die Erkrankten. Alle zusammen leiden in unserer Angst und unserer Ohnmacht. Warum also sollten wir uns in unserem Leid nicht an Christus orientieren?

Da geht es nicht nur um Orientierung, es geht auch um Bewahrung. Für das Virus macht es keinen Unterschied, ob man gläubig ist oder nicht. Der Glaube und das Gebet bewahrt nicht vor Krankheit, wie manche fundamentalistischen Prediger – Christen und Muslime - ihren Gläubigen weismachen wollten. Aber es macht für uns einen Unterschied, wie wir diese leidvollen Wochen ertragen. Fühlen wir uns in unserer Hilflosigkeit und Einsamkeit von Gott und der Welt verlassen oder fühlen wir uns auch in solch schwierigen Zeiten von Gott bewahrt und umgeben? Sehen wir auch nach unseren Nächsten oder sind wir uns selbst der oder die Nächste? Wohin richten wir unsere Gedanken, was ist mit unseren Gebeten?

Der Petrusbrief schließt dieses Lied mit dem alten, aber immer noch sehr schönen Bild vom Hirten. Ein Bild, um das dieser ganze zweite Sonntag nach Ostern kreist: „Ihr wart wie irrende Schafe, nun aber seid ihr umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.“ Der Begriff „Bischof der Seelen“ klingt für uns seltsam. Denn unter einem Bischof stellen wir uns nicht gerade jemanden vor, der sich intensiv um unser Seelenheil kümmert. Doch dieser Bischof ist kein Kirchenfürst, er steht über der Welt. Christus selbst als der Herr der Kirche ist hier gemeint: Ihr seid umgekehrt zu Christus. Ihr wart wie umherirrende Schafe, aber jetzt habt ihr einen Hirten, der sich um euch kümmert und den Weg weist. Einen guten Hirten, den besten den es gibt. Ein Hirte der Seelen. Und mehr noch als ein Hirte ist er zugleich Bischof der Seelen. Also jemand, der nicht nur aufpasst und sich kümmert, sondern auch noch verkündet, Trost und Hoffnung bringt.

Wie gesagt: Das Bild von Christus als dem Bischof der Seelen ist reichlich ungewöhnlich. Wir wissen auch nicht, woher der Schreiber dieser Zeilen das Bild hat. Vielleicht hat er sich überlegt, was für ihn einen idealen Bischof ausmacht, vielleicht war es in einer der damaligen Gemeinden ein geflügeltes Wort. Für uns jedenfalls ist es zwar ungewohnt, aber doch nicht so fremd, dass wir damit nichts anfangen könnten. Auf Lateinisch heißt Hirte Pastor. Christus als der Pastor der leidenden Gemeinde, der sich nicht nur um den richtigen Weg, sondern auch um die Seelen kümmert – damit können wir schon etwas anfangen. Nur das Wort Bischof irritiert etwas. Aber wenn man sich klar macht, dass zur damaligen Zeit ein Bischof in etwa das war, was heute ein normaler Gemeindepfarrer ist, rückt es dieses hohe Wort wieder zurecht.

Fassen wir also nochmals diese Verse zusammen: Jesus Christus geht uns voran, begleitet uns auch in Zeiten des Leids. Und nicht nur das: Er weiß, was Leid bedeutet, denn er hat es am eigenen Leib aufs Schrecklichste erfahren. Doch wie er mit diesem Leid umging, das kann uns auch heute ein Vorbild sein. Weder hat er versucht, sich daran vorbei zu mogeln, was sowieso nicht möglich wäre, noch hat er nach vermeintlich Schuldigen gesucht. Und was wir nicht vergessen sollten, auch wenn es mit Corona nichts zu tun hat: Die Last unserer Sünden nahm er mit sich ans Kreuz. Wir sind befreit, auch im Leid. Und wir stehen unter der Obhut des guten Hirten, der uns und unsere Seelen begleitet und bewahrt. Und das alles in guten und gerade auch in schweren Zeiten. Dafür können wir dankbar sein und getrost in die Zukunft blicken. Denn es wird ein Leben nach Corona geben, da bin ich mir sicher. Ich weiß nur nicht, wann es so weit sein wird.

Bis dahin aber können wir all das, was uns das Herz schwer macht unserem guten Hirten und Bischof unserer Seelen anvertrauen. Er kennt das Leid und er weist uns den Weg. Besser könnten wir es in dieser schweren Zeit gar nicht haben.

Liebe Gemeinde,

die vorgeschlagenen Textabschnitte für die Predigt stehen schon seit einigen Jahren fest. Und dennoch könnte man meinen, dieser Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja sei erst kurzfristig für unsere gegenwärtige Situation ausgewählt.

Doch hören Sie selbst: (Jes 40, 26-31): Hebt eure Augen auf in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er, der ihr Heer vollzählig herausführt und sie alle mit Namen ruft; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht einer von ihnen fehlt.

Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen und mein Recht geht an meinem Gott vorüber?“ Weißt du es nicht oder hast du es nicht gehört? Ein ewiger Gott ist der Herr, der die Enden der Erde geschaffen hat. Er wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und genug Stärke dem Ohnmächtigen. Jünglinge werden müde und matt , Männer stolpern und fallen, aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft: Dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Gott wird nicht müde. Und darum gibt er den Müden und Schwachen Kraft. Die auf ihn vertrauen werden stark wie Adler, sie werden nicht müde.

Das müssen - Nein: das sollen - wir uns gerade jetzt sagen lassen! Gerade jetzt, wo nach fünf Wochen Coronasperre so allmählich unsere Kräfte nachlassen. Bei den deutlich über das normale Maß beanspruchten Kräften in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowieso, aber auch bei allen anderen. Wie lange sollen wir denn noch verzichten, sind überwiegend an unser Zuhause gebunden, können Verwandte und Freunde nur am Telefon sprechen? So vieles fehlt uns: Die Feier zum runden Jubiläum, der nette Abend im Restaurant, das Fußball- oder Handballspiel, der Besuch von Kino oder Zoo, die Umarmung der Enkel und nicht zuletzt der Gottesdienst. Und das alles, so hörten wir es am Mittwoch, noch mindestens zwei weitere Wochen, manches sicher noch länger. Da soll man nicht irgendwann Lust und Kraft verlieren!

Aber aufgeben ist keine Option. Ja, man könnte sicherlich alle diese Beschränkungen innerhalb von einigen Tagen aufheben. Doch um welchen Preis? Die Zahl der Neuinfizierten würde rapide ansteigen, bald darauf auch die der schwer Erkrankten und der Toten. Wollen wir das? Wohl eher nicht. Also müssen wir weiter durchhalten, bis die Experten grünes Licht geben. Das fällt uns schwer und wird von Woche zu Woche schwerer. Woher also nehmen wir die Kraft, was kann uns aus der Ohnmacht und der Verzweiflung heraus helfen?

Und da sind wir an unserem Predigttext angekommen, auch wenn die Verheißung des Propheten schon gut zweieinhalbtausend Jahre alt ist. An Aktualität hat sie in den vielen Jahrhunderten jedoch nicht verloren. Als diese Worte gesprochen und niedergeschrieben wurden, hatte der Prophet keine weltweite Epidemie im Blick, das ist klar. Aber die Folgen, die Lage der Menschen ist vergleichbar. Dem Prophet ging es damals um sein Volk, um das Volk Gottes. Das war scheinbar am Ende: Nach ungeschickter Politik des Königs und seiner Ratgeber wurde das kleine Königreich Juda von der Weltmacht Babylon erobert. Die tonangebenden Leute, also die Mächtigen, die Reichen und die Gelehrten, wurden in deren Hauptstadt verschleppt. Und dort, gut 1000 Kilometer von der zerstörten Heimat entfernt, saßen sie nun und ließen die Köpfe hängen: „Hat Gott uns verlassen? Oder sind etwa die Götter der Bayblonier mächtiger? So, wie ja auch ihre Stadt weit prachtvoller und gigantischer ist als unser kleines Jerusalem.“ Und so klagen sie: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen und mein Recht geht an Gott vorüber“ Bisher waren sie gewohnt, dass Gott sie aus dem schlimmsten Schlamassel immer wieder herausholt. Sie dachten immer wieder an die wundersame Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten, sie erzählten sich, wie ein kleiner Haufen Flüchtlinge und Nomaden mit Gottes Hilfe die mächtigen Städte Kanaans erobern konnte oder träumten von der Macht und Größe des sagenhaften Königs David. Zuerst besiegte er als kleiner Junge den furchterregenden Goliath, dann schuf er mit List, viel Gespür für die Schwächen der anderen und Gottes Wohlwollen ein großes Reich. Das alles war zwar schon viele hundert Jahre vorüber, doch die Geschichten wurden immer noch mit leuchtenden Augen weiter erzählt. Und so dachten sie, wenn Gott unserem Volk damals geholfen hat, wird er das auch in Zukunft machen. Uns kann nichts geschehen, denn Gott steht an unserer Seite, damals wie heute. Doch nun das: Die große Katastrophe, vor der manche Propheten wie Jeremia gewarnt hatten, war eingetreten. Das Land ist erobert, der König umgebracht, Stadt und Tempel zerstört und sie sitzen jetzt klagend in Babylon, sind zum Gespött der Sieger geworden und spüren ihre Ohnmacht.

Und da spricht der Prophet zu ihnen: „Hebt eure Augen auf,“ sagt er. „Seht, wer all das geschaffen hat. Seine Macht ist so groß, dass er immer den Überblick behält. Er hat alles im Blick. Und auch wenn Männer müde werden und ins Straucheln geraten – wer auf Gott vertraut, bekommt neue Kraft.“ Vielleicht wenden Sie jetzt ein, dass das doch nur eine Durchhalteparole sei, um die Verzweiflung zu mindern. Ja, sicherlich ist es die Aufforderung durchzuhalten. Doch diese Aufforderung zum Durchstehen des Leids hat Hand und Fuß. Sie ist nicht grundlos. Auch dieses Mal lässt Gott sein Volk nicht im Stich. Es muss nur eine Zeit warten, bis es wieder voran geht. Damals, nach der Flucht aus Ägypten, musste das Volk 40 Jahre durch die Wüste ziehen, bevor es das verheißene Land erobern durfte. 40 Jahre, weil schon wenige Wochen nach der Flucht der Zweifel an Gottes Beistand wuchs. Schließlich machte man sich sogar ein goldenes Standbild, um es anstelle Gottes anzubeten. Sie kennen die Geschichte bestimmt. Deshalb sollte niemand der damals Erwachsenen das gelobte Land betreten dürfen. Und auch jetzt hatten die Mächtigen nicht auf Gottes Warnungen gehört, hatten die Stimmen der Propheten ignoriert. Die Kritiker wurden verfolgt, denn sie wollten unbedingt Recht behalten. Wer die Macht innehat, mag meistens keine Kritik hören. Daran hat sich nichts geändert. Und so dauert auch diese Zeit in Babylon lange, sehr lange. Fast 50 Jahre währte die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Dann erst war die Rückkehr möglich. Zurück nach Jerusalem, das in Trümmern lag und wieder aufgebaut werden musste. Kein Wunder, dass man da Durchhalteparolen benötigt.

Nun hat das Wort Durchhalteparole einen negativen Klang. Man kann es auch Ermutigung nennen, andere hingegen würden es als billigen Trost bezeichnen. Wobei wir in diesem Fall wissen, dass es gut ausging, wenn auch erst für die folgende Generation. Und auch die musste ganz klein anfangen und aus den Ruinen wieder eine blühende Stadt erschaffen. Aber es bleibt die grundsätzliche Frage: Hätten sie es auch ohne solche Worte geschafft? Oder wären die Israeliten dann nicht untergegangen? Das geschrumpfte Volk Gottes – verschollen in der Großstadt Babylon. Möglich wäre dies gewesen, wenn es eben nicht solche ermutigenden Worte der Propheten gegeben hätte. Ja, die Aussichten waren alles andere als gut und man brauchte einen sehr langen Atem. Vor allem aber benötigte man sehr viel Gottvertrauen. Und darum geht es in den Worten des Propheten: Die auf Gott vertrauen, bekommen neue Kraft. Diejenigen, die nicht gleich resignieren, sondern aushalten, weil sie die Hoffnung nicht aufgeben. Es ist ein Appell, nicht den Kopf hängen zu lassen: „Hebt eure Augen auf in die Höhe!“ so beginnen diese Worte. Mit heutigen Worten ausgedrückt: Gebt nicht auf! Macht weiter! Gott hilft euch, aber zuerst mal müsst ihr durch diese schwere Zeit hindurch. Um das zu schaffen braucht und bekommt ihr Gottes Kraft. Und dann ist da noch ein kleines Wort, das leicht übersehen wird. Doch es ist in diesem Zusammenhang wichtig: Die auf den Herrn harren, heißt es in der Lutherübersetzung. Harren, also Warten ist dieses kleine, aber so wichtige Wort.

Auch wir brauchen Geduld. Gottes Hilfe kommt nicht sofort und auch nicht über Nacht. Haltet durch, habt Geduld, Gott gibt euch die Kraft die ihr braucht. Die Kraft zum Warten und die Kraft zum Weitermachen, zum wieder Anfangen, wenn die Einschränkungen endlich vorüber sind. Und ich bin mir sicher, dass es nicht zum Weitermachen wie vorher kommen wird. Nicht nur weil so viele Menschen weltweit an dem Virus erkrankt oder gar daran gestorben sind. Sondern auch weil etwas ganz wichtig wurde, was fast vergessen schien: Die Solidarität. Das Eintreten für die anderen, für die Schwächeren. Wir erleben in diesen Zeiten eine Wiederentdeckung der Gemeinschaft, der Solidarität. Das ist ein zutiefst christliches Verhalten, das aber auch in unserem angeblich so christlichen Abendland zusehends ins Hintertreffen geriet. Egoismus ist in der Konsum- und Spaßgesellschaft angesagt, aber keine Rücksichtnahme auf die Schwächeren. Doch was wäre, wenn wir rücksichtslos weiterleben würden, so als gäbe es gar keine Epidemie? Unsere Krankenhäuser wären überfüllt, auf den Friedhöfen wäre Hochbetrieb und irgendwann würde die Angst alles andere besiegen.

Doch auch dazu ist Jesus von den Toten auferweckt worden: Dass wir keine Angst mehr haben sollen. Denn der schlimmste Feind, der Tod, ist besiegt. Nicht so, dass niemand mehr sterben würde. Wir sind noch nicht in Gottes Ewigkeit angelangt. Aber so, dass der Tod nicht das endgültige Ende ist. Wir haben eine Zukunft auch nach dem Tod.

Und wir haben eine Zukunft nach Corona. Dafür müssen wir aber noch ein wenig ausharren, uns in Geduld üben. Das ist schwer, weil niemand weiß, wie lange denn noch. Zunächst hieß es bis zum kommenden Montag, jetzt sind es schon zwei Wochen mehr. Und was dann kommt, wissen wir noch nicht. Vielleicht ist die Ansteckungsgefahr bis dahin weitgehend gebannt, vielleicht überrascht uns eine zweite Infektionswelle und alles geht von vorne los. Niemand von uns weiß es. Was wir aber wissen ist, dass wir auch in all dem in Gottes Obhut geborgen sind. Und Gott gibt den Müden Kraft und gibt Stärke denen, die nicht mehr weiter können oder wissen. Dann können wir auffahren wie mit Adlersflügeln, laufen und wandeln ohne müde zu werden. Bis dahin aber harren wir in Geduld und bleiben trotz allem fröhlich. Denn Gott ist und bleibt an unserer Seite. Kein Grund also, den Kopf hängen zu lassen, so anstrengend und betrüblich diese Zeiten auch sind. Doch wir können uns sicher sein: Gott gibt uns Kraft zum Durchhalten. Auch diese Zeiten gehen vorüber, und es wird bestimmt nicht 50 Jahre dauern, wie damals in Babylon.

Liebe Gemeinde,

himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, so begehen wir im Gedenken an Jesus die kommende Woche. Auf der einen Seite ist da der Einzug Jesu in Jerusalem, wir hörten es ja gerade im Evangelium. Von jubelnden Menschenmassen begleitet zieht er nahezu triumphierend in die Stadt ein. Und dann, nur ein paar Tage später, seine Hinrichtung am Kreuz. Jämmerlich hängt er da und stirbt, von niemandem bejubelt, von nur wenigen betrauert. So schnell ändert sich die Stimmung. Solch ein Stimmungswandel ist auch in unsrem heutigen Predigtabschnitt zu finden. Er findet sich im Markusevangelium, im 14. Kapitel.

(Markus 14, 3-9): Als Jesus in Betanien im Hause Simons des Aussätzigen war und zu Tische lag, da kam eine Frau herein, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem kostbaren Nardenöl. Und sie zerbrach das Gefäß und goss es über sein Haupt. Da sagten einige der Anwesenden empört zueinander: „Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte das Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen und das Geld den Armen geben können!“ Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: „Lasst sie! Was behelligt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch und wenn ihr wollt könnt ihr ihnen Gutes tun - mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan was sie konnte: Sie hat meinen Leib im voraus zu meinem Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Wo immer das Evangelium verkündigt wird in der ganzen Welt, da wird auch von dem die Rede sein, was sie getan hat – ihr zum Gedächtnis.“

Eine fröhliche Runde sitzt da im Haus des Simon zusammen. Man isst, trinkt und freut sich auf das bald beginnende Passafest, das sie gemeinsam in Jerusalem feiern wollen. Plötzlich kommt diese Frau herein. Ein kostbares Gefäß hält sie in der Hand und darin ist eine noch kostbarere Flüssigkeit: Nardenöl, ein wohlriechender und sicherlich sehr teurer Import aus dem weit entfernten Indien. Alle sehen sie verwundert an. Doch dann folgt der Skandal: Sie zerbricht die edle Flasche und gießt das teure Öl auf das Haupt Jesu. „Was für eine Verschwendung! Die schöne Flasche, das teure Öl! Man hätte das Geld doch den Armen geben können!“ so die Empörung einiger Zeugen des Geschehens.

Das kann man ja auch verstehen. Stellen Sie sich mal vor, Sie haben eine Flasche wirklich teuren und sehr seltenen Parfums. Es gibt ja so manche Fläschchen, die kosten 100 Euro und mehr. Und dieses Parfum versprühen Sie, einfach mal so. Und das bei Menschen, die Sie nur vom Sehen und Hörensagen kennen. Was für eine Verschwendung! Und um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben: Die geschätzten 300 Silbermünzen entsprechen heute, so las ich, etwa 20.000 Euro. Was für ein Geld, was für eine gewaltige Verschwendung!

Ja, manchmal sind wir verschwenderisch. Im Privaten sowieso, aber auch in der Kirche. Wussten Sie, dass ein normaler Sonntagsgottesdienst um die 1500 Euro kostet, wenn man den Stundenlohn für Pfarrer, Organistin und Küster und die Kosten für Reinigung, Heizung und Strom zusammenrechnet? Und was hat frühere Generationen wohl der Bau der Kirchen gekostet! Viele Kirchen wurden um einiges größer gebaut als man sie brauchte. Und dazu noch die oft prunkvolle Ausstattung aus wertvollem Material, oft gestaltet durch hochangesehene und gut bezahlte Künstler. Hätte es nicht auch ein schmuckloser Saal getan, den man vielleicht noch kostengünstig an den anderen Tagen der Woche für Versammlungen, als Festsaal, Kaufhaus oder Schule nutzen könnte? „Was für eine Verschwendung!“ könnte man ausrufen. Und das alles zur Ehre Gottes.

Man hätte das Geld den Armen geben können! Die Gäste im Haus des Simon und genauso wir heute wissen gut, was man mit fremdem Geld alles Gutes tun könnte. Aber steht da einer der Gäste auf, nimmt sich einen Korb oder einen Beutel und sammelt unter den anderen Gästen für die Armen? Und das wo Simon, der Gastgeber, sie sicherlich eingeladen hat. Die Kosten für die Mahlzeit haben sie also schon einmal gespart. Ja, die geschätzten 300 Silbermünzen waren ein kleines Vermögen. So viel hatte sicher keiner der Gäste. Aber einen kleinen Teil davon hätte so eine kleine spontane Kollekte schon ergeben. Doch auf diese Idee kam niemand von ihnen, nicht vorher und nicht nachher. Ob es bei der Diskussion in der Männerrunde wohl daran lag, dass dieses kostbare Öl im Besitz einer Frau war? Wir wissen es nicht und es hat auch keinen Sinn darüber zu spekulieren. Auch nicht, woher denn die Frau dieses Öl hatte.

Man könnte doch so viel Geld den Armen geben! So ist es derzeit ja auch wieder. Großkonzerne teilen dem Staat und den Medien mit, wie viele Millionen Finanzhilfe sie benötigen, um die Coronaschließungen einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Große Ketten wollen die Miete für ihre Läden während der Zwangsschließung nicht zahlen. Davon kann der kleine Gastwirt oder Friseur nur träumen. Und dann sind da noch die von ganz unten, die Obdachlosen, die Empfänger von Sozialleistungen. Die haben es auch schwer: Keine Menschen mehr auf der Straße, die einem einen Euro in die Schale legen, auch viele Tafeln mit den preiswerten Lebensmitteln haben geschlossen, in den Supermärkten sind Reis und die billigen Nudeln seit Wochen ausverkauft und so weiter. Ja, man könnte viel Geld den Armen geben. Das gilt nicht nur heute und das galt nicht nur zur Zeit Jesu. Arme habt ihr immer bei euch, sagt Jesus und damit hat er Recht. Doch wo es Arme gibt, da gibt es auch Reiche. Wäre es anders, dann wären Vermögen und Einkommen auf alle Menschen gleich verteilt. Also gilt genauso: Reiche habt ihr immer bei euch. Und auch die könnten jederzeit etwas von ihrem Vermögen den Armen geben. Doch ich will jetzt nicht weiter darüber nachdenken, auch wenn es die Zeugen dieses Geschehens taten. Denn in dieser Geschichte geht es gar nicht um Armut und Reichtum, das ist nur ein Nebenthema. Hier geht es um Jesus, es geht um Verschwendung zur Ehre Gottes. Und es geht um die Vorankündigung des Todes Jesu.

Jesus bremst die Empörung seiner Freunde: Arme habt ihr immer. Aber mich nur noch eine kurze begrenzte Zeit. Und vor allem: Sie hat meinen Leib im Voraus für mein Begräbnis gesalbt.

Sie kennen bestimmt die Geschichte: In der jüdischen Tradition war es so, dass die Toten vor der Grablegung gesalbt wurden. Doch als der tote Jesus vom Kreuz abgenommen wurde, war dafür keine Zeit mehr. Denn es war kurz vor Sonnenuntergang, der Sabbat begann. Und als die Frauen dann mit zwei Tagen Verspätung nach dem Sabbat die Salbung nachholen wollten, fanden sie das leere Grab. Die traditionelle Salbung nach dem Tod fiel also aus, dafür gab es diese Salbung vor dem Tod. Und diese Salbung hat auch noch eine doppelte Bedeutung. Einerseits eine vorweggeholte Salbung des Toten. Das weist uns hin auf das Wort des Engels am Grab: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Und andererseits zeigt es uns, wie wir Jesus verstehen sollen. Nämlich als den Gesalbten, auf Hebräisch den Messias, auf Griechisch den Christus. Deshalb wohl auch das sündhaft teure Öl. Ein Öl, das für eine normale Leichensalbung viel zu kostbar ist. Genutzt wurde es aber beispielsweise für die Salbung von Königen anlässlich ihrer Krönung. Diese Salbung Jesu ist also eine doppelte: Zum einen weist sie auf seinen baldigen Tod hin. Zum anderen zeigt sie den Zuschauern und den späteren Lesern des Evangeliums auch, wer dieser Jesus aus Nazareth ist. Er ist der Gesalbte, der Christus.

Das alles klingt jetzt vielleicht ein wenig kompliziert, vielleicht sogar verwirrend. So vieles kommt da zusammen. Doch im Markusevangelium beginnt mit dieser kurzen Erzählung die Passionsgeschichte, also die letzte Lebenswoche Jesu. Und deshalb weist die Geschichte auf die drei wesentlichen Punkte dieser Woche hin: Zunächst einmal die Begeisterung am Palmsonntag, wo der Jubel der Massen Jesus umgibt. Auch die Gäste im Haus des Simon werden bei bester Stimmung gewesen sein, bis Jesus mit seiner Bemerkung zu der Salbung ihnen die Stimmung verdarb. Als zweites der Tod am Kreuz. Tote wurden gesalbt, darauf weist auch Jesus mit seiner Bemerkung hin. Und schließlich die Auferstehung. Jesus wird nun deutlich der Gesalbte, der Messias oder Christus.

Viele Facetten sind das in einer kurzen Episode. Wenn man in dieser Geschichte nach einer Art rotem Faden sucht, dann ist das wohl das teure Öl. Zunächst dient es der Salbung Jesu, dann wird es Thema der Empörung und schließlich weist es hin auf das, was kommt: Der Tod und die Auferstehung.

Und die namenlos bleibende Frau, die Hauptakteurin dieses Geschehens? Sie sprach kein Wort, zumindest ist uns keines überliefert. Sie kommt herein, gießt das teure Öl auf Jesus Haupt, hört sicher die empörten Kommentare und vermutlich auch noch Jesu Worte. Und dann verschwindet sie wieder im Rätselhaften. Wir wissen nichts über sie. Aber der letzte Satz unseres Predigtabschnitts, der bleibt: „Wo auch immer in der Welt das Evangelium verkündigt wird, wird auch erzählt werden, was sie getan hat.“ So ist es, liebe Gemeinde. Wir hören von der Tat einer Namenlosen, die bewahrt wird bis heute. Doch wer sie war, warum sie dies tat und woher sie das Öl hatte, das werden wir nicht klären können. Wozu auch? Vielleicht – keiner weiß es – war sie auch ein Engel, eine Botin Gottes. Möglich ist auch dies, alles bleibt im Bereich der Vermutungen und Phantasien. Wichtig ist bei all dem nicht das Woher und Warum, sondern dass sie die einzige war, die Jesus die gebührende Ehre erwies. Er ist der Gesalbte, der Christus im Leben, im Sterben und in der Auferstehung und das zeigte sie deutlich. Dass die anwesenden Gäste dies alles nicht begriffen, sondern sich in Diskussionen über diese Verschwendung verloren, ist nicht weiter erstaunlich. Denn wenn wir ehrlich sind müssten wir zugeben: Wir hätten es wohl auch nicht begriffen, wir hätten uns auch über diese Verschwendung aufgeregt. Doch wie vorhin gesagt: Es war eine Verschwendung zu Ehren Gottes. Und für Gott sollte uns doch nichts zu teuer sein. Oder was meinen Sie?

Liebe Gemeinde,

als Predigttext gibt es heute drei kurze Verse aus dem Hebräerbrief. Mehr nicht. Dort sind sie im 13. Kapitel zu finden. Die Worte machen uns deutlich, dass es nur noch zwei Wochen bis zum Karfreitag sind, die Passionszeit nähert sich ihrem Ziel. TEXT (Hebr 13, 12-14): Darum hat auch Jesus, um das Volk durch sein eigenes Blut zu heiligen, vor dem Tor gelitten. So lasst uns zu ihm hinausgehen vor das Lager und dort seine Schmach auf uns nehmen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Das ist ein seltsamer, schwer zugänglicher Abschnitt der Bibel. Zunächst ruft er wahrscheinlich ein großes Fragezeichen hervor: Was soll das? Wieso draußen vor dem Tor? Warum hinausgehen vor das Lager? Und was hat das mit der bleibenden Heimat zu tun? Und selbst wenn man das ganze Kapitel lesen würde, was ich Ihnen heute erspare, würden diese Fragen bleiben. Der Hebräerbrief, verfasst von einem uns namentlich nicht bekannten Autor, gehört mit der Offenbarung des Johannes wohl zu den am schwersten verständlichen Büchern des Neuen Testaments, wenn nicht der ganzen Bibel.

Dahinter stehen Vorstellungen und Bilder, die uns fremd sind. Das geht los mit dem Opfer: Jesu Kreuzestod ist ein Opfer außerhalb des Tempels, dieses Opfer findet nicht auf dem Altar statt. Und damit verlässt Jesus und mit ihm die Christinnen und Christen die jüdische Tradition und Glaubenswelt. Während für Paulus das Judentum die Wurzel des christlichen Glaubens ist, zieht der Hebräerbrief eine deutliche Trennung zwischen Juden und Christen. Darum also das Opfer außerhalb des Tempels, vor den Toren der Stadt. Dort, wo nach jüdischer Sicht der unreine Bezirk beginnt, findet das große Opfer Jesu statt. Dort fließt sein Blut, also der Saft des Lebens. Ein Opfer am unreinen Ort, ein Opfer zur Heiligung der Welt, aber eben ein Opfer das nicht in den Rahmen passt. Denn die Welt der Christen ist vor allem außerhalb der Stadttore zu finden, so sieht es der Schreiber dieser Zeilen. Und wir Christinnen und Christen sollen diesem Beispiel folgen, wir sollen ebenfalls die Sicherheit der Stadt verlasen. Wir sollen ihrer scheinbaren Heiligkeit den Rücken kehren. Wir haben hier keinen dauerhaft heiligen Ort, keinen Platz, wo uns das Heil gewiss wäre. Diese Sicherheit gibt es nur im Reich Gottes, nicht aber hier auf der Erde, wo wir leben. Auf heilige Orte, so sagt der Autor, müssen wir Christenmenschen verzichten. Und so sieht der Hebräerbrief uns in der Nachfolge des wandernden Gottesvolks, das seine Heimat noch nicht gefunden hat. Wir sind unterwegs zum Reich Gottes, wir sollen uns nicht behaglich einrichten. Denn – so könnte man zusammenfassen – unser Leben hier ist vorläufig, es ist weder endgültig noch heilig. Das alles kommt erst noch im Reich Gottes, zu dem uns Jesus Christus durch seinen Tod am Kreuz die Tür geöffnet hat.

Soweit eine kurze Erklärung dieser Verse in ihrem Zusammenhang. Ich befürchte nur, das wird Ihnen nicht reichen. Was sollen wir damit anfangen? Wo betrifft uns das in unserem Leben, im Hier und Jetzt? Und wie können uns diese Verse in den Zeiten von Corona helfen?

Zwei Sätze sind es, die mich hier besonders ansprechen: „Lasst uns hinausgehen vor das Lager“, so lautet der erste. „Hinausgehen? Schön wär´s!“ denken jetzt sicher einige von Ihnen. Im Moment fühlt man sich doch weitgehend eingesperrt. Hinausgehen sollen wir nach Möglichkeit doch nur, wenn es dringend notwendig ist. Und sowieso nicht, um andere Menschen zu treffen. Das gemütliche Schwätzchen im Park mit zwei oder drei anderen ist genauso untersagt wie der Besuch der Familie hier im Haus. Und auch für die Menschen, die nicht im Heim wohnen, ist es derzeit schwer. Wie will man denn Kontakte pflegen, wenn man sich nicht nahe kommen soll? Wohin kann man gehen, wenn bei jeder Begegnung mit einem anderen die Angst vor der Ansteckung mit dabei ist? Hinausgehen, Kontakt zu anderen ist im Moment für viele von uns Teil der Vergangenheit und hoffentlich auch einer baldigen Zukunft, aber es gehört nicht zu unserer Gegenwart. Es ist eine seltsame, beängstigende Situation, für uns alle ist das etwas absolut Neues. „Haltet euch von einander fern“ ist eine Mahnung, die wir so nicht kennen. Wir sind es doch gewohnt in Zeiten von Not und Gefahr zusammenzurücken. Aber jetzt eben nicht. Und wir wissen auch nicht, wie lange dieser seltsame Zustand noch andauern wird. Vielleicht noch drei Wochen, vielleicht auch fünf oder acht. Und wird alles danach sein wie vorher? Ich vermute nicht. Manches wird sich ändern; in der Politik, der Wirtschaft aber auch bei uns Menschen. Was sicher kommen wird ist die Erkenntnis, dass Gesundheit, dass das Leben ein Geschenk und keine Selbstverständlichkeit ist. Wir wissen das, doch wir leben oft nicht danach. Das bedeutet auf der anderen Seite der Medaille aber auch, dass Krankheit und Tod wieder mehr ins Bewusstsein rücken. Das sind dann keine Themen mehr, die verschwiegen werden, über die man nicht spricht, denn sie gehören zum Leben dazu. Um es plakativ zu sagen: unsere Bequemlichkeit, unsere scheinbare Sicherheit bekommt Risse. Ja, auch unser Leben hier im reichen und scheinbar so gut abgesicherten Deutschland hat Unsicherheiten, es ist nicht immer nur Friede, Freude, Eierkuchen. Das Virus kann alle treffen: Reiche und Arme, Fremde und Einheimische, Sportskanonen und Stubenhocker. Wir sind uns gleicher als viele es wahrhaben wollen, vor allem in der Begrenztheit unseres Lebens.

Und damit sind wir bei dem zweiten Satz aus diesem kurzen Predigtabschnitt, der mich anspricht: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Unser Leben ist vorläufig. Was wir hier erleben ist nicht die Ewigkeit. Was wir hier schaffen, ist nicht von Dauer. Wir suchen nach Beständigkeit, nach Verlässlichkeit, doch die finden wir nicht. Wir finden und erschaffen nur Vorläufiges. Das hält bestenfalls unser Leben lang, aber nicht viel länger. Und ob alles, was wir uns in jungen Jahren erträumen und aufbauen möchten, wirklich zu unseren späteren Lebensjahren passt? Vielleicht wird ja alles ganz anders, macht uns das Leben einen Strich durch unsere Pläne. Denn auch für das Leben gilt: Ein Wunschzettel ist keine Bestellliste.

Da sind wir schon wieder bei diesen Bibelversen angelangt! Verlasst das Lager, geht hinaus aus der scheinbaren Sicherheit, geht hin zu Jesus Christus. Um hinaus zu gehen braucht man Mut. Und das nicht nur in diesen Zeiten, wo jeder unnötige Schritt vor die Haustür vermieden werden sollte. Man braucht ihn auch sonst, denn man verlässt damit die Sicherheit der gewohnten Umgebung, der festgelegten Abläufe, der Rituale und Regeln. Der Weg hinaus ist immer ein Weg ins Ungewisse. So ganz genau weiß man nicht, was kommt und was einen erwartet. Doch dieser Weg ist nicht nur etwas für furchtlose Abenteurer. Es ist der Weg, der uns Christenmenschen gegeben ist. Hinaus aus dem Trott, aus der scheinbaren Sicherheit, hin zu Christus und hin zu den Menschen seines Geistes.

Wir haben hier keine bleibende Heimat, sagt der Hebräerbrief und das hören wir nicht so gerne. Denn wir brauchen unsere Heimat, wir wollen ein Zuhause haben. Etwas worauf wir uns verlassen können, ein Ort, an dem wir uns wohlfühlen, wo alles gut ist. Das ist gut verständlich und diesen Ort haben wir auch. Doch es ist nicht der, den wir dafür halten. Keine stabilen Mauern, keine Absicherungen, keine gut gefüllten Konten oder ähnliches. Unsere Heimat ist bei Gott. Das Gottesvolk – also die versammelte Christenheit – ist unsere Nachbarschaft.

Das ist sicher eine für die meisten ungewohnte Sichtweise. Doch gerade wir Christinnen und Christen sollten sie kennen. Was wäre denn gewesen, wenn Petrus, Johannes und all die anderen Jünger dem Ruf des Mannes aus Nazareth nicht gefolgt wären? „Och nö, wir bleiben lieber zu Hause, da ist es so schön!“ Und was, wenn Paulus und die vielen anderen, meist unbekannten Missionare der frühen Christenheit, sich nicht aufgemacht hätten, um die Botschaft des auferstandenen Christus zu verkünden? „Was soll ich denn in der Fremde? Da kenn ich mich doch gar nicht aus!“ Es klingt vielleicht ungewohnt, doch christliches Leben und sesshaft werden passt nicht so ganz zusammen. So schön es auch ist, wenn man ein gemütliches Zuhause hat: Die Gefahr dabei ist, dass man bequem und engstirnig wird. Dann fehlt der Blick für das Ganze, dann fehlt der Mut zu Neuem. Dann wagt man keine neuen Schritte, hin zu den Menschen und in der Nachfolge Jesu. Vielleicht auch deshalb der Hinweis des Hebräerbriefs: Wir haben hier keinen Platz für immer, sondern unsere Zukunft ist an einem anderen Ort. Man könnte auch sagen: Bleibt beweglich, zumindest im Geiste, seid bereit, Neues auszuprobieren, habt Mut zum Risiko. Das ist auch gar nicht so schlimm, denn Gott bleibt an eurer Seite, wenn ihr euch aufmacht. Das klingt verheißungsvoll, auch wenn manch einer nur ungern die gewohnten Pfade verlässt.

Aber wie soll das in diesen Tagen und Wochen gehen, wenn wir doch gehalten sind, möglichst nicht hinauszugehen? Da bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als unsere Gedanken auf die Reise zu schicken. Wir dürfen lesen, ob auf Papier oder im Internet. Wir können über Radio und Fernsehen neue Eindrücke und Sichtweisen bekommen – es muss ja nicht nur das Unterhaltungsprogramm sein. Wir können telefonieren oder uns über den Gartenzaun oder den Vorgarten hinweg unterhalten. Wir können auch schreiben – Briefe, e-Mails oder anderes wie Tagebücher. Und schließlich ist da auch noch das Gebet, also das Gespräch mit Gott. Das ist immer möglich, dafür braucht man weder technische Hilfsmittel noch eine offene Tür nach draußen.

Völlig isoliert sind wir also nicht. Uns fehlt nur die Gemeinschaft von Angesicht zu Angesicht. Da müssen wir durch, so schwierig das manchmal auch ist. Aber ganz allein sind wir bestimmt nicht, selbst wenn uns ein Händedruck oder eine liebevolle Umarmung fehlt. In Gedanken oder – der Technik sei Dank! - aus der Ferne sind wir mit unseren Lieben verbunden und mit Gott können wir sowieso jederzeit sprechen.

Und sonst? Sonst freuen wir uns auf die Zukunft in doppelter Weise: Zum einen auf die Zukunft in unserer wahren Heimat, nämlich dem Reich Gottes. Dann sind wir nicht mehr heimatlos, sondern dort haben wir unser eigentliches Zuhause. Dort endlich haben wir etwas Bleibendes. Und zum anderen können wir dem Tag entgegensehen, an dem die ganzen Beschränkungen wegfallen, weil das Virus in seine Schranken gewiesen wurde. Noch wissen wir nicht, wie lange das dauern wird und wie viele bis dahin erkranken. Aber es wird kommen und dann können wir wieder hinausströmen und miteinander feiern. Bis dahin aber können wir Kontakt halten so gut es geht und vielleicht auch das erledigen, zu dem wir sonst nicht kommen. Und so schlecht ist es auch nicht, wenn inmitten der üblichen Hektik alles einmal zur Ruhe kommt. Auch so hat der weitgehende Stillstand seine guten Seiten. Amen

Liebe Gemeinde,

„Freuet euch,“ das ist die Übersetzung für den Namen des Sonntags Lätare. Und so beginnt auch unser heutiger Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja, dort zu finden im 66. Kapitel:

Freuet euch über Jerusalem und jubelt über sie, alle, die sie lieben. Jauchzt in Freude mit ihr; ihr alle, die über sie trauern. Denn nun könnt ihr saugen und satt trinken an den Brüsten ihres Trostes, dass ihr reichlich saugt und euch erfreut an der Fülle ihrer Herrlichkeit. Denn so spricht Gott: Siehe, ich wende ihr zu Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Ja, in Jerusalem werdet ihr getröstet werden. Ihr werdet es sehen und euer Herz soll sich freuen, eure Gebeine sollen sprossen wie das grüne Gras. Und man wir erkennen die Hand Gottes an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden. (Jes 66, 10-14)

Freude und mehr noch Trost ist das Thema dieses Sonntags in der Mitte der Passionszeit. Und was ist für Kinder tröstlicher als die Nähe zur Mutter? Wohl deshalb wählt der Prophet dieses Bild für sein Trostlied. Die schweren Zeiten sind vorbei, man findet Trost in der Stadt, die wieder zu neuem, guten Leben zurückkehrt. Einem Leben voll Frieden, Geschäften und Geschäftigkeit. So weit sind wir, liebe Gemeinde, noch nicht. Bei uns haben die schweren Zeiten der Coronakrise anscheinend erst angefangen. Und so brauchen wir noch viel Geduld und gerade deshalb besonders viel Trost. Das, was unser Leben lebenswert macht, ist gerade mächtig eingeschränkt: Keine netten Stunden in fröhlicher Runde, keine Besuche bei den Lieben, kein Einkaufsbummel, keine Pause im Café, kein Schwätzchen im Park oder was unser Leben sonst noch bereichert, weil wir unter Leute kommen. Nicht zusammenrücken sollen wir, wie wir es sonst in schweren Zeiten gewohnt sind. Nein, auseinanderrücken ist das Gebot der Stunde. Damit das Virus sich nicht ungehindert verbreiten kann, damit nicht alle angesteckt werden. Es sind schon seltsame Zeiten, in denen wir leben.

Doch auch diese Zeiten keine Zeiten der Hoffnungslosigkeit. Denn wir wissen, es geht vorüber. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, wir wissen nicht, wie viele Menschen daran erkranken, wie viele daran womöglich versterben. Dazu kann im Moment kein Wissenschaftler und kein Politiker eine realistische Antwort geben. Wir wissen nur, dass wir mit einem möglichst umfassendem Stopp unserer Kontakte zu anderen Menschen das Virus eindämmen können. Und damit bewahren wir hoffentlich viele vor schwerem Leid und Tod. Dass wir dafür vieles von dem was wir gerne tun für einige Zeit aufgeben müssen, ist eine ärgerliche aber wohl notwendige Begleiterscheinung. Denn es will ja auch niemand von uns Schuld sein an Krankheit und Tod anderer, nur weil man leichtfertig weitergelebt hat als wäre nichts. Und so suchen wir in diesen Zeiten nach Zeichen der Hoffnung, suchen nach dem, was uns Kraft und Trost geben kann. Vielleicht gehört ja dieses Trostlied des Propheten dazu. Ihr dürft euch satt trinken an den Brüsten des Trostes, auf den Armen wird man euch tragen und auf den Knien liebkosen. Der Frieden ist ausgebreitet wie ein Strom, die Menge der Völker wie ein voller Bach, euer Herz wird sich freuen. Mag sein, dass manche dieser Bilder uns zunächst einmal fremd sind. Die Bildersprache des Orients vor zweieinhalbtausend Jahren ist nicht die gleiche wie unsere heute. Doch es ist zu spüren, was uns diese Bilder sagen wollen. Wir können uns vorstellen, wir tröstlich die Brust der Mutter für das traurige Kind ist. Wir sehen vor unserem inneren Auge den Frieden wie einen großen Strom dahinfließen und sehen die Menge der Völkerscharen fröhlich herankommen wie einen bis an den Rand gefüllten, murmelnden Bach. Das alles sind alte, aber schöne und größtenteils verständliche Bilder. Und wenn die Bibel in Bildern spricht, dann hat das immer mit Gott zu tun. Wie auch können wir anders von Gott sprechen als in Bildern? In diesem Fall tröstet Gott seine Menschen wie eine Mutter ihre Kinder. Das ist eines der schönsten Gottesbilder wie ich finde. Denn Gott ist nicht nur der allmächtige, der Furcht und Schrecken verbreitet. Das haben wir zwar so verinnerlicht, doch kommt diese Seite Gottes in der Bibel eher selten vor. Der liebevolle, der tröstende Gott ist viel mehr der Gott der Bibel. Und das passt auch zu Gott als dem Vater Jesu Christi. Auch Jesus hat Liebe gepredigt und gelebt und nicht etwa Angst und Schrecken. Gott als tröstende Mutter, an deren Brust wir hängen. Dieses Bild mag manchen irritieren, der oder die eine andere Gottesvorstellung hat. Das ist auch verständlich. Doch Gott ist weder männlich noch weiblich. Und wie könnten wir Gott anders beschreiben als in Bildern, anders von ihm sprechen als in unserer Sprache, ihn anders denken als mit dem, was wir uns mit unserer Phantasie vorstellen können? In diesem Bild geht es nicht darum, ob Gott Mann, Frau oder irgendetwas anderes ist. Hier geht es um das Bild des Trösters oder der Trösterin Trost ist unser heutiges Thema, nicht Mann oder Frau. Und Trost haben wir bitter nötig, gerade in schweren Zeiten, so wie jetzt. Das Virus macht manche einsam, es ängstigt uns und wir spüren unsere Ohnmacht. Dennoch wir können einiges tun: Wir können Kontakt per Telefon halten. Dank der Technik können wir miteinander sprechen ohne einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Und es gibt noch mehr, was wir tun können. Da sind erfreulich viele, die uneigennützig anderen helfen. Dann wird für jemanden aus dem Ort eingekauft, da werden Lebensmittel oder Hilfen organisiert – toll, was alles geht! Nur gegen die Krankheit können wir nur wenig tun, außer auf Distanz zu einander zu gehen und die Hygieneregeln zu beachten. Das Virus ist unsichtbar und leise. Ein Feind, den man nicht sieht, der aber gefährlich ist. Und dann lesen wir fassungslos wie die Zahlen der Erkrankten und Gestorbenen täglich steigen und hoffen, dass es uns und unsere Lieben nicht erwischt.

Ja, es ist so: Mehr als Beten, Hoffen und Vorsichtig sein können wir nicht tun. Aber das ist ja schon einmal etwas. Wir haben noch keine Mittel gegen das Virus, aber wir sind auch nicht völlig ohne Aufgaben. Die einen helfen, die anderen beten, alle miteinander hoffen und die meisten sind vorsichtig, halten sich an die Ratschläge zu Hygiene und Abstand. Die Zahl der unbelehrbaren Egoisten, die jede Einschränkung ablehnen, wird hoffentlich schnell zurückgehen wenn sie merken: Das ist kein Spaß.

Doch zurück zum Trost, der ja eine Folge unseres Hoffens, unserer Gebete sein kann und soll! Da kommt Jesaja mit seinem Bild der tröstlichen Nähe gerade recht. Trotz aller Gefahren, trotz allem Schrecken, trotz der Bedrohung finden wir unseren Trost bei Gott. Gott ist uns so nahe, wie es eine Mutter für ihre Kinder ist. Gott tröstet und Gott verspricht, dass es weitergeht. Irgendwann, vielleicht in einigen Wochen, vielleicht in einigen Monaten, womöglich auch erst nächstes Jahr, ist der Coronaspuk vorüber. Dann können wir wieder leben, wie wir es gewohnt sind. Und damit sind wir beim zweiten Schlagwort dieses Sonntags, nämlich der Freude. Was werden wir dann feiern! Freudenfeste allenthalben, fröhliche Gottesdienste in hoffentlich vollen Kirchen, nachgeholte Feiern – ob Hochzeiten, Jubiläen, Konfirmationen oder Schulabschlüsse. Und so wie Jerusalem in Trümmern lag und dann wieder zu neuer Herrlichkeit gelangte, so wird es dann auch mit unserem Leben in der Gemeinschaft sein. Freuet euch mit Jerusalem, so begann unser Predigttext. Freuet euch mit Drabenderhöhe, freuet euch mit dem ganzen Bergischen Land, freuet euch mit der ganzen Welt – das können wir dann erleichtert ausrufen. Und vielleicht erinnern wir uns auch an den Schluss dieses Predigtabschnitts, wo uns weitere Hoffnungsworte begegnen: Ihr werdet es sehen und euer Herz wird sich freuen und eure Knochen werden erstarken wie das frische Gras.

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Zur Vorbereitung der heutigen Predigt habe ich mir noch einmal dieses kleine Büchlein vorgenommen: Mein Terminkalender des Jahre 1986! Beim Durchblättern lese ich dort zufällig: 3. Sonntag nach Trinitatis, 15. Juni 1986 – 10.00 Uhr Probepredigt in Drabenderhöhe. Und heute nun, auch am 3. Sonntag nach Trinitatis, genau 32 Jahre später, der Gottesdienst zu meiner Verabschiedung in den Ruhestand. Ich kann mich noch gut an diesen Tag erinnern: Es war der 1. Geburtstag meines Sohnes Lionel. Wir waren morgens früh zu dritt – meine Frau und Lionel waren auch dabei – in Duisburg losgefahren, um pünktlich um 10 Uhr hier in der Kirche zu sein. Nach dem Gottesdienst dann ein Spaziergang durch die Umgebung. Plötzlich waren wir in Büddelhagen und dachten: Wo sind wir hier gelandet? Die Straße zu Ende? Am Ende der Welt? Anschließend haben wir in Verr im „Haus Waldeck“ den Tag gefeiert: Lionels ersten Geburtstag und meine Probepredigt hier in der Gemeinde.

So ging es los, damals vor 32 Jahren. Dann die Wahl zum Pfarrer dieser Gemeinde und am 7. September 1986 der Gottesdienst zur Einführung in den Pfarrdienst. Gepredigt habe ich in diesem Einführungsgottesdient über ein Wort aus dem 1. Petrusbrief. Es war der vorgeschlagene Predigttext für diesen 15. Sonntag nach Trinitatis.

Im 5. Kapitel heißt es da: „Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. 1. Petrus 5, 5-7

Liebe Gemeinde!

„Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch!“

Über dieses Wort hatte ich gepredigt – ein Wort, das mich begleitet hat all die Jahre, das mir Kraft und Hilfe war und Trost. Ich habe mir noch einmal meine Predigt von damals herausgesucht. Ich hatte mich gefragt, was da wohl auf mich zukommen würde in der neuen Gemeinde, wie der Übergang wohl wäre von der Stadt aufs Dorf … „Werde ich zurechtkommen, werde ich es schaffen – diese Umstellung von einer Gemeinde in eine ganz andere? Ungewissheit, Zweifel, Sorge – vielleicht etwas Angst ….“ Aber dann dieses Bibelwort:

„Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch!“

Dieses Wort hat mich seit diesem Einführungsgottesdienst begleitet, es ist mir wichtig geworden. Es ist mir zum Leitwort geworden für meinen Dienst und für mein Leben. Früher habe ich gedacht, dieser Vers ist eine Zumutung. Doch ich habe gemerkt, dass er eine Befreiung sein kann. Lass los, wirf ab, was dich beschwert, werde frei. Halte nicht krampfhaft alles fest. Wirf endlich weg, was dich niederdrückt und gefangen nimmt. Werft alle Sorgen auf Gott, denn Gott sorgt für euch. Ein Satz, der Mut gibt, ein Satz, mit dem man Leben kann. Werft eure Sorge weg, werft sie auf Gott, schaut über den Tellerrand eurer kleinen Probleme, habt Vertrauen. Werft eure Sorgen weg, werft sie auf Gott! Dort sind sie gut aufgehoben. Dieser Satz macht Mut. Er gibt uns Zuversicht und Kraft, die Probleme gelassen, ja heiter anzugehen. – Dieser Satz ist keine Aufforderung zur Gleichgültigkeit allen Alltagsfragen gegenüber – ganz im Gegenteil. Er ruft nicht dazu auf, sorglos einfach in den Tag hineinzuleben, aber er befreit mich von jenem heimlichen Leistungsdruck, unter den ich mich stelle. Vorsorge und eigenes Bemühen, soweit es den vorhandenen Möglichkeiten und Kräften entspricht – ja! Quälende Sorge und stets überfordernder Leistungsdruck – nein! Unsere Lebenserfüllung hängt nicht davon ab, was wir gestern nicht geschafft haben und heute nicht schaffen. Wir können getrost und in Ruhe tun, was in unseren Kräften steht. Was wir nicht schaffen, können wir ebenso getrost anderen überlassen. Oder mit den Worten Martin Luthers: „Pfarrer, predige du das Wort und lass Gott die Leute fromm machen.“

Das heißt nicht: „Lass fünf gerade sein!“ Es heißt aber: „Etliches von der Aussaat trug dreißigfältig, etliches sechzigfältig, etliches hundertfältig.“ Nur Geduld.

Und das, liebe Gemeinde, führt uns nun zu einem zweiten Gedanken unseres Bibelwortes. „Alle miteinander haltet fest an der Demut …. Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes.“ So beginnt unser heutiges Bibelwort. Demut – ein altes Wort, das aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch verschwunden ist. Gemeint ist doch dies: Erkennt eure Grenzen! Ihr seid nicht der Mittelpunkt der Welt. Seid nicht überheblich, sondern seid bereit, einander zu dienen. Alle miteinander.

„Alle miteinander – haltet fest an der Demut.“

Das heißt doch, so hatte ich damals gesagt – und so habe ich es erlebt in dieser Zeit: Ich stehe nicht allein in meinem Amt. Ohne die Gemeinde, ohne die Mitarbeiter, ohne all die Gemeindeglieder kann ich nichts tun …. Wir gehören alle zusammen – alle miteinander! Alle miteinander – nicht einer allein! Alle miteinander – ich denke gerne zurück an die Aktion „Alle unter einem Dach“, als wir, Gemeinde, Chöre, Vereine, das ganze Dorf, uns für ein Projekt, die Erneuerung des Kirchendachs, eingesetzt haben.

„Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes.“

Das heißt: Ihr könnt euch nur Gottes Hand überlassen. Und ihr müsst nicht im voraus wissen, wozu ihr in der Lage sein werdet. Nur werft eure Sorge auf Gott! Dietrich Bonhoeffer hat das in seinem berühmten Glaubensbekenntnis so ausgedrückt: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie uns nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“ Und darum:

„Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch!“

Liebe Gemeinde, in meiner Einführungspredigt erzählte ich am Ende: „Als ich meine Bücher für den Umzug in Kartons verpackte, da vermerkte ich jeweils den Inhalt der Kiste auf dem Deckel, um den Überblick nicht ganz zu verlieren. Und als nun der Möbelpacker die Bücherkisten mit meiner Fachliteratur im Möbelwagen verstaute und dabei las: „Theologie 1-4“, da stutzte er: „Theologie – wat is dat denn?“ und wusste nicht, ob die Kisten in die Küche oder ins Wohnzimmer gehören.“

Liebe Gemeinde, vor der gleichen Situation stehe ich jetzt wieder: Wohin mit den Bücherkisten „Theologie“? Fest steht: Sie kommen nicht in die Küche und auch nicht auf den Speicher. Denn ich werde dranbleiben am Thema. Denn mit dem Glauben, mit der Frage nach Gott ist man nie fertig. Amen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

R. Kapff

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Predigt zu Pfingstsonntag

Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. So formuliert das apostolische Glaubensbekenntnis aus dem 5. Jahrhundert und wir tun es ihm gleich in jeder gottesdienstlichen Feier, in der wir dieses Bekenntnis aussprechen. Auffallend ist, dass in diesem Glaubensbekenntnis über Gott, den Vater, und besonders über seinen Sohn Jesus Christus weitere Aussagen gemacht werden, die beide charakterisieren: der allmächtige Vater, der der Schöpfer Himmels und der Erde ist. Jesus wird beschrieben von seiner Empfängnis in Maria bis zu seiner Wiederkunft über Geburt, Tod und Auferstehung. Aber beim Heiligen Geist, dessen Fest wir heute feiern, fehlen solche Aussagen. Fehlen deshalb auch die äußeren Zeichen und Rituale, Symbole und Traditionen wie zu Weihnachten und Ostern? Und dabei steht doch schon am Anfang unseres Lebens in der Taufe die Zusage im Mittelpunkt: Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

…ist auf vielfältige und eindrucksvolle Weise dargestellt, was die Lesung aus der Apostelgeschichte heute wiedergibt: Die Jüngerschar, zu der sich auch Maria gesellte, ist versammelt, um zu beratschlagen, wie es nach der Katastrophe des Todes Jesu weitergehen soll. Und die Künstler malen in bunten Farben, was der Verfasser der Apostelgeschichte beschreibt: Feuerzungen kommen auf die Versammelten nieder und aus Verängstigten werden Begeisterte, die erzählen, Jesu sei auferstanden. Und auf die Frage, wie das denn so plötzlich kam, sagt der biblische Schreiber Lukas: »Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt.«

So fragen viele oder fragen sich auch nicht mehr. Das ist mir zu kompliziert, sagten mir Eltern bei der Vorbereitung auf die Taufe ihres Kindes. Reicht es nicht aus, wenn wir an Gott glauben und wir mehr oder weniger gut verstehen, wer Jesus ist?

Wir haben dann das heutige Evangelium hergenommen, es Vers für Vers gelesen und sind dabei ein wenig in die Schule Jesu gegangen und haben versucht, von ihm zu erfahren und zu lernen, wie das gemeint sein könnte: Ich glaube an den Heiligen Geist.

Empfangt den Heiligen Geist. Gleichsam wie bei einer großen Ouvertüre ist damit schon das ganze Thema entfaltet: Es geht um nichts und niemand anderes als um Gottes Geist. Nicht Ungeister und dämonische Mächte, Unheilsgeister und Gesinnungen des Hasses und der Rache, des Streites und der Vernichtung werden prophezeit und herbeigeschworen, keine esoterische, absonderliche Geisterwelt tut sich auf. Gottes Geist wird angerufen, in der Sprache der Bibel also Gott selber. Um ihn geht es, der der Gott der ganzen Welt und aller Menschen ist. Der, der schon auf der ersten Seite der Bibel bezeugt wird als der, aus dessen Hand und in dessen Hand alles ist, was lebt. Mit seinem Atem, mit seinem Lebenshauch, mit seinem Geist und Leben stattet Gott das von ihm ins Leben gerufene Geschöpf aus, das seither den Namen Mensch trägt. Nach der Erfahrung von Leiden und Tod, die die Jünger zutiefst getroffen hatte, werden sie daran erinnert: Gott selber tritt für euch ein. Er ist der, der sich so offenbart: Ich bin der ich-bin-da, mit euch und für euch, alle Tage. Nie seid ihr gott-verlassen und gott-los. So lange der Mensch lebt, atmet er und sein Lebensatem ist geschenktes Leben. Heiliger Geist meint: Gottes Leben lebt in mir. Mein Leben ist empfangenes und unverdient geschenktes Leben.

… fügt Jesus vor den eingeschüchterten und angsterfüllten, in sich und vor der Welt verschlossenen Jüngern hinzu: Friede sei mit euch. Er beschreibt damit nichts anderes und niemand anderen als Gott selber, der der Friede ist. Gottes Geist, seine Absicht für den Menschen und die Welt ist Friede, Versöhnung und Gerechtigkeit. Wer Gott ist und was er den Menschen sein will, ist zusammengefasst in diesem Wort: Friede sei mit euch. Die von Gott ausgehende, lebendige Kraft, seine Wirkmacht, sind nicht auf Zerstörung und Vernichtung aus, auf Trennung und Ausgrenzung, auf Verachtung und Unterdrückung, sondern vielmehr auf Heil und Heilung. Wenn wir von einem Menschen aufgrund seiner Verhaltensweisen und seiner Äußerungen sagen: Da sieht man, wes Geistes Kind er oder sie ist, dann meinen wir: Da sieht man, was diesen Menschen im Innersten ausmacht, ihn bestimmt, sein Handeln und seine Taten leitet, was er in seiner tiefsten Bestimmung ist. Wo Friede ist, ist Gott, weil Gott der Gott des Friedens, ja der Friede selber ist. Deshalb die Ankündigung bei der Geburt des menschgewordenen Gottes: Friede den Menschen auf der Erde. Gott, der Friede, kommt dorthin, wo Menschen schreien und sich sehnen nach Befreiung und Erlösung. Und deshalb diese Zusage, die angesichts des Todes Jesu notwendig wurde: Nicht Tod ist für euch bestimmt, sondern Leben und Friede.

… dass dies alles nicht aus dem Reich der Phantasie und der Spekulation, aus jenseitiger Geistesspähre stammt, verweist Jesus auf das, was seine bleibenden Erkennungsmerkmale und Identitätszeichen sind: seine von den Kreuzesnägeln durchbohrten Hände und seine von der Lanze des Soldaten durchbohrte Seite. Gottes Geist, der jetzt, hier und heute an den Menschen handelnde Gott, ist der Gott, der leidet mit den Leidenden, der verwundbar wurde und die Wunden der Verspottung und Verachtung ausgehalten hat, der auf der Seite all derer zu finden ist, die um ihrer Überzeugung willen verfolgt werden, die unschuldig vergewaltigt, gequält und getötet werden. Gott ist nicht unempfindlich gegenüber dem Leid und dem Leiden der Menschen. Mitleid ist Gottes Kennzeichen, nicht als gnädiges Von-oben-herab, sondern als ein mit den Menschen leiden, sich zu ihnen beugen, mit ihnen weinen und klagen. Das hat Jesus in den Begegnungen mit den Menschen gezeigt als der, der Gottes Liebe und seine persönliche Nähe gelebt hat und den Menschen daran Anteil schenkte. Seht meine Hände und meine Seite!

…vielmehr ist er eine lebendige und lebendig machende Anstiftung zum Leben: Wie mich der Vater gesendet hat; so sende ich euch. Im Plural gesprochen! Keine allein individuelle und individualistische Auszeichnung und Belohnung. Sondern Auftrag, Bestimmung für die damals noch kleine Jüngergemeinde, die bald bis an die Grenzen der zu ihrer Zeit bekannten Welt auszog, um allen aus diesem Geist den Gott zu bezeugen, der der Gott des Lebens ist. Er ist nicht nur da für ein einziges Volk, für eine auserwählte Nation, für eine bestimmte Sprache und Kultur, für eine andere ausgrenzende Konfession oder Religion. Er ist nicht katholisch oder evangelisch, er gehört nicht den Christen, den Juden oder dem Islam, er gehört nicht den Weißen oder den Schwarzen, sondern er ist der Gott all derer, über die er seinen Geist ausgießt und sie in einer neuen Gemeinschaft zusammenführt. Einer Gemeinschaft, in der Vergebung und Verzeihung leben.

Deshalb und damit wir es nicht vergessen, der heutige mit zwei freien Tagen gewürdigte Festtag mit seiner Bitte: Gott, sende uns deinen Geist. Und: Komm, Heiliger Geist, strahle Licht in unsere Welt. Denn ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehn, kann nichts heil sein und gesund.

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  • Zuletzt geändert: 17.01.2021 08:13
  • von Hilmar Kranenberg